Dienstag, 21. Mai 2024

Das autonome Nervensystem

Das autonome Nervensystem (ANS), ist der Teil des Nervensystems, der nicht unter unserer willentlichen Kontrolle unterliegt. Es besteht laut Stephen Porges aus:

·        dem neuen Parasympathicus, der ventraler (oder vorderer) Vagusnerv oder (Nerven-)Regelungskreislauf 1 genannt wird,

·        dem Sympathicus, der als Nerven- oder Regelungskreislauf 2 bezeichnet wird und

·        dem alten Parasympathicus, der auch als dorsaler (hinterer) Vagusnerv oder (Nerven-)Regelungskreislauf 3 bekannt ist. 

Früher ging man davon aus, dass unser autonomes (oder vegetatives) Nervensystem aus zwei Nervenkreisläufen, nämlich dem Parasympathicus und dem Sympathicus, besteht. Dank Stephen Porges und seiner Polyvagal-Theorie ist heute jedoch bewiesen, dass sich drei Nervenkreisläufe in unserem autonomen Nervensystem befinden. Porges fand bei seinen Recherchen den älteren Parasympathicus, von dem bis dahin niemand etwas wusste. Dieser ist entwicklungsgeschichtlich schon sehr früh entstanden und daher auch bereits bei Reptilien vorhanden, während der bisher bekannte, neue Parasympathicus in der Entwicklungsgeschichte erst später entwickelt wurde und nur bei Säugetieren und Menschen zu finden ist. Daher wird der Parasympathicus heutzutage in zwei verschiedene Regelkreisläufe unterteilt. Zusammen mit dem Sympathicus handelt es sich damit um insgesamt drei Regelkreisläufe des autonomen Nervensystems.

Diese drei Kreisläufe regulieren unsere Körper- und Organfunktionen. Gleichzeitig haben sie eine Verbindung zu unseren Emotionen, die wiederum unser Verhalten mitsteuern.[i] In der unteren Abbildung werden sie gemäß ihrer Funktion dargestellt[1]. Die beiden neueren Regelkreisläufe 1 und 2 übernehmen die alltäglichen regulativen Aufgaben, während der Regelkreislauf 3 nur in extremen Notfallsituationen bzw. Traumata aktiviert wird.[ii] Wenn in der ME/CFS-Therapie und im Volksmund vom Nervus Vagus gesprochen wird, ist der Regelkreislauf 1 und damit der neue Parasympathicus gemeint.

Die beiden Regelkreisläufe 1 und 2 steuern damit in einem komplexen Gleichgewicht die alltäglichen körperlichen Funktionen, die wir selbst nicht durch unseren Willen kontrollieren können. Dabei ist der Sympathicus genauso wichtig wie der neue Parasympathicus. Jede Bewegung wird vom Sympathicus gesteuert. Er ist notwendig für uns und sollte daher auch nicht verteufelt werden.

Bei ME/CFS und MCAS ist das ANS jedoch außer Kontrolle. Der Sympathicus feuert, der neue Parasympathicus kommt kaum zu Wort. Es gibt dann nur noch die ständige Aktivierung des Sympathicus bzw. des Regelkreislaufs 2 und damit eine typische chronische Hochstressreaktion (Flucht oder Kampf). Herzschlag, Atmung, Blutfluss, Verdauung, Wasserlassen und sexuelle Erregung werden dadurch u.a. behindert. Funktionelle Störungen treten vermehrt auf, die wiederum weitere Probleme nach sich ziehen.

Betroffene haben daher die schwierige Aufgabe, ihren Körper wieder in einen ausgeglichenen Zustand zurückzuführen. Hier setzen alte Techniken wie Qi Gong oder traumasensitives Yoga sowie Übungen aus dem Nervus Vagus-Training an. Sie können sowohl bei chronischer Hochanspannung (Sympathicus) als auch bei Untererregung (alter Parasympathicus) eingesetzt werden. Je nach Übung erfolgt eine beruhigende oder eine anregende Wirkung. Aber auch einfache Skills wie der Einsatz von Düften, Musik, Gurgeln, Singen, Summen oder angemessene Bewegung (Tanzen, Spazierengehen, einfache Gymnastikübungen) sowie Flow-Aktivitäten wie Malen haben positive Effekte. Der Großteil dieser Übungen ist nicht neu, hat aber durch die Polyvagal-Theorie und die Brain Retraining-Programme eine größere Bedeutung gefunden und wurde teilweise weiterentwickelt. In diesem Blog finden Sie eine Vielzahl von einfachen Übungen zur Beruhigung und Entspannung, die Sie auch allein zuhause durchführen können.Weitere Informationen erhalten Sie zudem über die Bücher "Ein kleines, feines Leben: Heilung durch Traumatherapie" oder Kopf über Wasser: Leben mit ME/CFS und MCAS"



[1] Tiefergehende Informationen zur Polyvagal-Theorie und zu den Nervus Vagus-Übungen finden Sie u.a. bei Fischer, Ellen (2021): „Das Vagus-Training“ oder in dem Buch von Eder, Ursula & Sperlich, Franz (2019): „Das Parasympathicus-Prinzip“. 



[ii] Eder, Ursula & Sperlich, Franz (2019): „Das Parasympathicus-Prinzip“. S. 25. München: Gräfe und Unzer Verlag GmbH

[iii] Vgl. Rost, Christine und Overkamp, Bettina (2018): Selbsthilfe bei posttraumatischen Symptomen: Übungen für Körper, Geist und Seele.S. 23/24, Paderborn: Junfermann

sowie
Heller, Laurence und Lapierre, Aline (2020): Entwicklungstrauma heilen: Alte Überlebensstrategien lösen, Selbstregulierung und Beziehungsfähigkeit stärken. S. 142/ 143.  München: Kösel-Verlag, 7, Auflage

und https://malwina.coach/artikel/polyvagaltheorie/, zuletzt aufgerufen am 18.09.2021

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