Dienstag, 21. Mai 2024

Die Neuroplastizität des Gehirns

Eine Grundlage eines Brain Retraining-Programms ist die Neuroplastizität des Gehirns, die vor gar nicht so langer Zeit von Forschern entdeckt wurde. Darunter versteht man die „… die Fähigkeit des Gehirns, sich als Reaktion auf seine Erfahrung zu verändern.“[i]

Früher ging man die Fachwelt davon aus, dass Schäden am Gehirn irreversibel seien – und unser Gehirn mit dem Alter sich nicht mehr ändern kann. Heute weiß man, dass dies nicht wahr ist: Unser Gehirn ist sehr wohl in der Lage, sich neu zu strukturieren und durch wiederholte Erfahrungen zu verändern. Damit können angeborene oder erworbene Schäden auch im hohen Alter noch behoben werden. Große Erfolge werden dank dieser Erkenntnis u.a. in der Therapie von Schlaganfallpatienten erzielt.[ii] Aber auch in der Traumatherapie wird die Theorie der Neuroplastizität des Gehirns genutzt, um den traumatischen Stress zu lindern. Ziel ist dabei, die Spuren, die der posttraumatische Stress im Gehirn hinterlassen hat, durch Übungen und andere Erfahrungen wieder zu verändern – und so den Alarmzustand, in dem sich der Körper aufgrund des Traumas nach wie vor befindet, zu löschen. Viele dieser Techniken können auch bei ME/CFS eingesetzt werden.

Die Methoden sind vielfältig und reichen von traumasensiblem Yoga, Psychodrama-Therapie, Neurofeedback-Therapie, DBT-Therapien, Affirmationen über Imaginationsübungen, dem therapeutischen Schreiben, bestimmten Trauma-Konfrontationen bis hin zur Arbeit auf der Inneren Bühne. Ein Teil der Übungen wie Affirmationen, Imaginationsübungen, Visualisierungen, DBT-Trainings und Co. ist ohne therapeutische Unterstützung möglich. Andere Methoden wie die Arbeit auf der Inneren Bühne oder Trauma-Konfrontationen sollten nur im Rahmen einer Traumatherapie durchgeführt werden. Mehr Informationen zu den einzelnen Themenbereichen finden Sie in den anschließenden Kapiteln, in denen ich die einzelnen Übungen und Techniken detailliert vorstelle.

Wichtig ist für die Neuroplastizität des Gehirns, dass Sie einzelne Übungen regelmäßig wiederholen. Denn nur so kann die Neuroplastizität stimuliert werden, damit die alten Autobahnen („Alarm“, „Schmerz“) im Gehirn überschrieben werden und neue, kleine Trampelpfade („Ich bin in Sicherheit“) entstehen können, die mit der Zeit zu neuen Autobahnen werden. Vielleicht hilft es Ihnen dabei der Vergleich mit dem Vokabellernen in der Schule. Wissen Sie noch, wie oft Sie die Vokabeln durchgenommen haben, bis sie sich endlich in Ihrem Gehirn verankert haben? Ähnlich ist es mit der Neuroplastizität. Wiederholtes Üben ist daher das A und O.  

Entscheidend dabei ist jedoch, dass Stress und Zwang vermieden werden. Beides hemmt die Neuroplastizität nachweislich. Setzen Sie sich daher bitte nicht unter Druck – auch wenn in manchen Online-Programmen gewisse Forderungen gestellt werden. Es reicht anfangs schon aus, zwischendurch einfach für einige Minuten die Augen zu schließen und an etwas Positives zu denken. Nehmen Sie sich die notwendige Zeit, einzelne Methoden auszutesten und um später ein Portfolio mit ihren Lieblingsübungen zusammenzustellen. Mit der Zeit werden Sie im Tagesverlauf automatisch daran denken. Das reicht vollkommen. Vor allem berücksichtigen Sie eines: Sagen Sie sich nicht „Ich muss…“ oder „Ich soll…“, sondern „Ich will…“. Es mag sich pedantisch anhören, hat aber auf Dauer eine positive Auswirkung.

Informationen zu Übungen finden Sie u.a. in den einzelnen Brain Retraining-Programmen sowie in den Büchern "Ein kleines, feines Leben: Heilung durch Traumatherapie" oder "Kopf über Wasser: Leben mit ME/CFS und MCAS"





[i] Sanchéz, Edith (2023): „Neuroplastizität und posttraumatischer Stress: Kann das Gehirn ein Trauma überwinden?“ auf https://gedankenwelt.de/neuroplastizitaet-und-posttraumatischer-stress-kann-das-gehirn-ein-trauma-ueberwinden/, zuletzt aufgerufen am 23.02.2024

[ii] Rieckmann, Peter: Wie Schlaganfall-Patienten die Neuroplastizität des Gehirns nutzen können, auf https://www.faz.net/asv/zukunft-der-neurologie/wie-schlaganfall-patienten-die-neuroplastizitaet-des-gehirns-nutzen-koennen-19279545.html, zuletzt aufgerufen am 23.02.2024

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