Bei chronischen Erkrankungen und Entzündungen ist Leaky gut vorprogrammiert. Leaky gut bedeutet so viel wie „leckender Darm“. Manchmal wird es auch mit löchrigem Darm übersetzt, was etwas übertrieben ist. Wenn sich tatsächlich ein Loch im Darm befände, wäre er durch eine Verletzung perforiert. Dann würde durch den Darminhalt, der in den Bauch gelangt, eine Peritonitis und damit eine lebensgefährliche Bauchfellentzündung entstehen.[i] So schlimm ist es bei Leaky Gut nicht. Leaky Gut ist eher eine Störung der Darmschleimhautintegrität, durch die mehr Nahrungsmittelbestandteile die Grenze zwischen Darm und Körperinneren durchdringen können. Folgen sind dann u.a. chronisch entzündliche und allergische Reaktionen des Körpers. Vor allem stille Entzündungen und Autoimmunerkrankungen sollen darauf zurückzuführen sein.
Diese Diagnose ist in der Schulmedizin noch nicht anerkannt und füllt zurzeit daher einen Graubereich. Daher kann die Frage, welche Labormarker für ein Leaky Gut sprechen, nach wie vor nicht endgültig beantwortet werden. Viele Behandler nutzen den Marker „Zonulin“, der über Stuhl- oder Blutbefund überprüft wird, als einzigen Hinweis. Jedoch ist inzwischen bewiesen, dass v.a. der Zonulin-Wert bei chronischem Leaky Gut völlig unauffällig sein kann. Oft denken z.B. Betroffene, dass ihr Leaky Gut geheilt wird, weil der Zonulin-Wert gesunken ist. Aber in der Tat ist das Leaky Gut dann vielmehr nur in die chronische Phase übergegangen. Ergänzende Marker sind daher der I-FABP-Wert des Labors IMD Berlin oder das Alpha-1-Antitrypsin, das auch bei Darmentzündungen erhöht sein kann.[ii] Beide Werte sollten immer in Kombination mit Zonulin erhoben werden.
Eine sehr viel strengere Auslegung des Leaky Gut wird in der Facebook-Gruppe „Leaky Gut Forum Deutschland“ kommuniziert. Der Darmexperte Andreas Schneider ist überzeugt, dass ein Leaky Gut bereits dann besteht, wenn einer der Leitkeime wie z.B. Lactobakterien oder Bifidobakterien im Mikrobiom fehlt. Selbst wenn diese Interpretation des Leaky Gut einigen Behandlern zu weit geht, so müssen diese doch zugeben, dass eine Dysbiose starke gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann. Diese wiederum liegt vor, wenn das Mengenverhältnis der einzelnen Darmbakterien in der Darmflore zugunsten von pathogenen Keimen verschoben hat. Das Argument, dass 80 Prozent des Immunsystems im Darm sitzen, sollte als Grundlage für eine Darmsanierung ausreichen.
Eine seriöse Darmsanierung fusst dabei immer auf einer IST-Analyse. Anhand eines großen Mikrobiom-Befunds (z.B. über Dr. Kirkamm oder medivere) können Sie über einen Selbsttest feststellen, in welchem Zustand Ihr Mikrobiom ist. Daraus lassen sich Maßnahmen zur Darmsanierung ableiten. Leider ist dieses Thema jedoch sehr komplex. Es reicht in der Regel nicht aus, ein Leaky Gut mit Verzicht auf gewisse Lebensmittel wie Gluten und Milchprodukte zu therapieren oder L-Glutamin zusätzlich einzunehmen. Letzteres kann im Gegenteil bei einer gewissen Dysbiose sogar eher schädigen. Daher gilt es immer, die individuelle Situation genau zu betrachten und die Therapie darauf abzustimmen – vor allem wenn gleichzeitig schwere Unverträglichkeiten und Erkrankungen wie MCAS und Salicylatintoleranz vorliegen. Pflanzliche Wirkstoffe und histaminbildende Probiotika sind dann genauso schwierig wie fermentierte Nahrung, die für ein gesundes Mikrobiom normalerweise wichtig sind. Bei Fructoseintoleranz und chronisch-rezidivierender Dünndarmfehlbesiedlung fallen wiederum viele Präbiotika weg, da diese den Zustand nur verschlimmern würden.
Manche Behandler, die eine Darmsanierung anbieten, haben jedoch nur rudimentäre Kenntnisse in Hinblick auf Dysbiosen und verfügbare Produkte. Sie sind gerade mit MCAS und Co. sehr schnell überfordert, geben dies jedoch in der Regel leider nicht zu. Stattdessen werden unverträgliche NEMs verordnet, die den Zustand der Patienten noch verschlimmern. Dies geschieht auch immer wieder in Selbsthilfegruppen, in denen nicht genügend auf die individuelle Situation des Einzelnen Rücksicht genommen wird. Daher bedarf es in der Regel achtsamer und gründlicher Recherche, um den eigenen Darm wieder in einen Idealzustand zu bringen – wobei fraglich ist, ob dies mit chronischen Erkrankungen überhaupt möglich ist. Man sollte sich aber auf jeden Fall auf den Weg der Heilung begeben und alles daransetzen, die Situation zu verbessern. Bei schweren Problemen hilft es, einen Darmexperten zu Rate zu ziehen, wobei man jedoch mit Enttäuschungen rechnen sollte. Zudem sollten Sie sich nur sehr achtsam auf Experimente einlassen. Das, was der/ dem einen schadet, kann der/ dem anderen enorm helfen. Denn jedes Mikrobiom ist individuell.
Mit Darmexperten habe ich sehr zweischneidige Erfahrungen gemacht. Bisher hatte nur ein Experte Verständnis dafür, dass bei MCAS, chronischer SIBO und Salicylatintoleranz nur bestimmte Pro- und Präbiotika eingesetzt werden können. Alle anderen verordneten mir Mittel, bei denen ich schon im Voraus wusste, dass sie bei MCAS nicht eingenommen werden dürfen. Auf meinen Hinweis bekam ich in der Regel zwei Antworten. Entweder hieß es „Etwas anderes kenne ich nicht“ oder „Die Firma sagt, dass ihre Produkte nicht histaminbildend sind.“ In der Tat behaupten manche Hersteller, dass ihre Produkte auch bei Histaminintoleranz geeignet sind, obwohl dies de facto nicht der Fall ist. Aber von einem Darmexperten erwarte ich, dass er diese Marketingbotschaften entlarvt – vor allem wenn er behauptet, dass er MCAS-Patienten behandeln kann.
Darüber hinaus haben zwei Darmexpertinnen, darunter auch eine Ärztin einer deutschlandweit bekannten Ernährungspraxis, meinen Mikrobiom-Befund falsch interpretiert. Meine Enttäuschung und Resignation angesichts dieser Erfahrungen sind hoffentlich nachvollziehbar. Ich für meinen Teil habe mich inzwischen entschieden, auf eigene Faust zu agieren und auf das Schwarmwissen sowie meinen eigenen kritischen Geist zu vertrauen. Die Facebook-Selbsthilfeforen sind in dieser Beziehung Gold wert. Die Entwicklung meiner Mikrobiom-Befunde, die sich in kleinen Schritten, aber stetig bessern, gibt mir Recht.