Wenn fachkundige professionelle BehandlerInnen rar
sind, wird die Erfahrung anderer umso wichtiger. Bei hoch komplexen
Erkrankungen und Unverträglichkeiten ist der Erfahrungsaustauch mit anderen
Betroffenen daher Gold wert.
Letztlich gibt es inzwischen zu fast jeder
spezifischen Fragestellung eine Online-Selbsthilfegruppe in den sozialen
Medien, unabhängig ob es sich um einzelne Erkrankungen (Leaky Gut, SIBO/
Dünndarmfehlbesiedlung, MCAS, ME/CFS etc.), allgemeine Fragestellungen (Gene,
Mitochondrien) oder um bestimmte Therapien (z.B. Coimbra-Protokoll, LDN, LDA)
handelt.
Und gerade bei Detailfragen in Hinblick auf Verträglichkeit vieler
Substanzen ist z.B. eine MCAS- oder Salicylatintoleranz-Gruppe sehr hilfreich.
Darüber hinaus gibt es auch Plauder-Gruppen für Betroffene, die sich unabhängig
von fachspezifischen Fragen austauschen wollen.
· Informationen sind sehr schnell und 24/7 verfügbar.
· Das Schwarmwissen vieler Betroffenen hat einen unschätzbaren Wert.
· Der Service ist kostenlos.
Aber wie immer gibt es bei Licht auch
Schatten. Nach über vier Jahren kenne ich auch die Nachteile solcher
Gruppen.
Nachteile
Viele Betroffene berichten immer aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen. Die wenigsten haben dabei jedoch einen übergeordneten Weitblick und genügend Wissen, um sich in die unterschiedlichen NutzerInnen einfühlen und die individuelle Situation eines Einzelnen richtig zu können. Das wiederum führt nicht selten zu Fehleinschätzungen und wenig brauchbaren, wenn nicht sogar gefährlichen Ratschlägen.
Darüber hinaus ist Eigendynamik der einzelnen Gruppen anfangs schwer einzuschätzen. „Reife, erwachsene“ Gruppen, die differenzierte Meinungen zulassen und anerkennen, dass jede Therapie auch Nachteile haben und damit auch für einzelne Betroffene unverträglich sein kann, sind zu bevorzugen. „Unreife“ Gruppen wiederum, die eine Schwarz/ Weiß-Sicht vertreten und z.B. heikle Fragen oder gar Kritik an manchen Therapien gar nicht zulassen sowie schwere Nebenwirkungen verleugnen (O-Ton „Das kann nicht sein“), sind m.E. mit Vorsicht zu genießen. Oft fehlt es dann v.a. den Administratoren an Wissen und an der Bereitschaft, Dinge in Frage zu stellen bzw. auch die Nachteile einer Therapie anzuerkennen. In solchen Fällen kommt es dann gern vor, dass Nutzer mit anderen Erfahrungen an die Seite gedrängt werden.
Darüber hinaus kann die Stimmung in einer Gruppe (pessimistisch, aufgeheizt, aggressiv etc.) stark schwanken. Hier gilt es gut auf sich zu achten, um nicht in einen Sog zu geraten und sich von den Stimmungen anstecken zu lassen. Und nicht zuletzt ist die Abhängigkeit von solchen Gruppen ein ernstzunehmendes Thema. Wenn Sie sich selbst ertappen sollten, allzu oft am Tag in diesen Gruppen nachzuschauen, was geschrieben wurde und sich in Themen verirren, die für Sie aktuell absolut nicht relevant sind, dann sollten Sie sich Pausen gönnen. Die Gefahr ist groß, sich zu lange mit einzelnen Krankheiten und Symptomen zu beschäftigen, anstatt sich im realen Leben auf die positiven Dinge und Aktivitäten zu konzentrieren. Die Beschäftigung mit der Erkrankung ist wichtig und richtig. Aber es ist nicht gut für das seelische Wohlbefinden, diesen Themen zu viel Beachtung zu schenken. Die Gruppen sind dazu da, um in einzelnen Fragestellungen Rat zu suchen und zu einem gewissen Grad auch andere Betroffene zu unterstützen. Sie sollten jedoch in der Regel kein soziales Netz ersetzen und als Freizeitbeschäftigung dienen. Der nachteilige Effekt liegt auf der Hand.