Donnerstag, 30. Mai 2024

Pacing bedeutet Grenzen zu setzen und "Nein" zu sagen


Im Gegensatz zu früher, als die Betroffenen noch leistungsfähig waren, müssen diese heute sehr stark darauf achten, ihre eigenen – teilweise sehr eng gesteckten – Grenzen wahrzunehmen und diese nicht zu überschreiten. Dabei kann es mitunter sehr schwierig sein, diese Grenzen nach außen zu kommunizieren und zu vertreten sowie sich bei Überforderung abzugrenzen. Es ist daher von großer Wichtigkeit, sich mit dem Thema „Grenzen setzen“ eingehend zu beschäftigen und sich darüber im Klaren zu werden, dass Grenzen immer individuell sind. Nur die Betroffenen persönlich können über ihren Körper und seine Signale herausfinden, wo ihre Grenzen liegen. Denn dieser reagiert auf Grenzverletzungen mit Crashs – egal, ob sie ihre Grenzen selbst übergehen oder ob es ein anderer tut. Leider wird der Körper jedoch oft überhört, da er leiser als der Kopf ist. Daher ist es notwendig, ihm ganz bewusst und aktiv zuzuhören.[i]

Fangen Sie heute damit an: Vielleicht haben Sie schon einmal erlebt, dass „… sich alles zusammenzieht…“ oder dass Ihnen mulmig oder unwohl in einer Situation wird. Können Sie nachspüren, wo sich das bei Ihnen körperlich bemerkbar macht? Spannen Sie sich dann unbewusst an? Wie fühlt sich Ihr Bauch an? Und was macht der Kopf? Nehmen Sie andere Stress-Signale wahr? Wenn Sie eine Pulsuhr nutzen, zeigt er eventuell sogar einen höheren Puls an? Üben Sie sich in Achtsamkeit. Stärken Sie Ihre Wahrnehmung.

In der Reha-Klinik wurde eine Gruppen-Übung zum Thema „Grenzen“ angeboten. Bei dieser Übung stellen sich zwei TeilnehmerInnen auf beiden Seiten des Raumes auf. Eine Person bleibt stehen, die andere kommt auf sie zu. Diejenige, die stehenbleibt, soll „Stopp“ sagen, sobald sie spürt, dass die andere Person ihre Grenzen verletzen würde, wenn sie sich noch weiter nähert. Bei dieser Übung wird sehr deutlich, wie individuell Grenzen sind. Während eine Person erst sehr spät „Stopp“ sagt, braucht die andere Person schon einige Meter Sicherheitsabstand.

 Ich selbst habe bei dieser Übung gelernt, dass ich in normalen Situationen gut „Stopp“ sagen kann. Wenn jedoch jemand bei der Übung zu schnell auf mich zukam, bekam ich erst einmal Panik. Ich schaffte mein „Stopp“ gerade so. Aber als mir eine schwache, hilfsbedürftige Person entgegenkam, konnte ich das „Stopp“ nicht mehr aussprechen. Stattdessen nahm ich die Person automatisch in die Arme. Damit war mein Problem klar. Wenn jemand um Hilfe bittet, kann ich keine Grenzen setzen. Ich hatte mir damals vorgenommen, dies zu ändern. Trotzdem habe ich später in solchen Situationen, z.B. in der Flüchtlingshilfe, immer noch zu selten „Nein“ gesagt. Es ist nach wie vor einer meiner großen Schwachpunkte, Menschen helfen zu wollen und mich dabei zu vergessen. Umso achtsamer muss ich hier sein.

 Tipps zum Grenzen setzen

 Lernen Sie, laut „Nein“ und „Stopp“ zu sagen.[ii] Sprechen Sie es erst einmal für sich ganz allein aus.  Versuchen Sie, Ihr „Nein“ in unterschiedlicher Lautstärke und Betonung auszusprechen. Spüren Sie nach, wie Ihr Körper darauf reagiert. Merken Sie, wie Sie beim Aussprechen des "Neins“ eine aufrechtere Haltung einnehmen und somit größer und zunehmend klarer werden? Spüren Sie die Kraft, die sich in Ihnen ausbreitet? 

Denken Sie sich einen Satz aus wie zum Beispiel: „Ich darf Nein sagen. Denn ich sorge gut für mich.“ Oder „Ein STOPP schützt mich heute“. Schreiben Sie sich diesen Satz auf ein Affirmationskärtchen und hängen Sie dieses z.B. neben dem Telefon auf. Legen Sie auch eines der Kärtchen in Ihr Portemonnaie, in Ihre Smartphone-Tasche oder in Ihren Taschenkalender.[i]

Machen Sie immer wieder eine Pause. 

Nehmen Sie sich in diesen Pausen Zeit zum Nachspüren. Horchen Sie in sich hinein. 

Nutzen Sie notfalls Hilfsgeräte wie Pulsuhr und Co. 

Und hören Sie auf, wenn Ihr Körper bereits Grenzen aufzeigt. 

Machen Sie nicht weiter, wenn Sie bereits erste Schmerzen oder Unwohlsein verspüren. 

Haben Sie Geduld mit sich. 

Indem Sie auf Ihre Grenzen achten und sich nur das zumuten, was möglich ist, 

werden Sie langfristig mehr schaffen und sich vor allem schrittweise wohler fühlen.


Weitere Tipps zum Grenzen setzen finden Sie in den beiden Büchern

"Ein kleines, feines Leben: Heilung durch Traumatherapie"
"Kopf über Wasser: Leben mit ME/CFS und MCAS"


 


 

 



[i] Striebel, Christine (2008): Schritt für Schritt ins Leben: Ein kompaktes Selbsthilfebuch für Menschen mit Dissoziativer Identitätsstörung und Zwischenformen. S. 136

[ii] Ebenda

[iii] Ebenda

[v] Grün, Amseln und Robben, Ramona: Grenzen setzen – Grenzen achten. Damit Beziehungen gelingen – Spirituelle Impulse, 92-94. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder

[vi] Ebenda

Warum ich bei der aktuellen Zitronen-Challenge für ME/CFS nicht mitmache

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