Dienstag, 21. Mai 2024
Somatic Experiencing
Die körperorientierte Traumatherapie Somatic Experiencing wurde von Peter Levine bzw. dessen Methode „Somatic Experiencing“ stark geprägt. Diese basiert auf Beobachtungen in der Tierwelt.
Stellen Sie sich eine Maus vor, die auf der Flucht vor einer Katze keine Chance hat. Sie kippt plötzlich wie tot um und bleibt liegen. Dies ist die Folge einer Energieblockade im vegetativen Nervensystem. Das Tier wird automatisch vor der Überlastung seines Nervensystems geschützt. Todesangst und Schmerz werden so nicht mehr wahrgenommen. Es kann jedoch vorkommen, dass die Katze die Lust verliert und die Maus einfach lie-gen lässt. Diese überlebt und erwacht nach einigen Minuten. Nach dem Erwachen be-ginnt sie, am ganzen Körper zu zittern. Danach atmet sie tief durch. Erst dann läuft sie weg.
Wenn die Maus jedoch beim Zittern gestört wird, bleibt ein Teil der Energieblockade bestehen. Die Maus erleidet ein Trauma. Als Folge können z.B. dauerhafte Angst, Anspannung oder Unruhe auftreten.
Wie Sie sehen, ist das „traumatische Zittern“ entscheidend. Es tritt häufig nach einem intensiven Schreckerlebnis auf und löst die Verkrampfung der Muskulatur, die durch die Erstarrung eintritt.
Tiere verfügen über diese angeborenen Mechanismen. Durch diese wird die hohe mobilisierte Stress-Energie, die im Überlebenskampf aktiviert wird, wieder abgebaut. Wir Menschen haben dies mit ihnen dank unseres Stammhirns (das auch „Reptiliengehirn“ genannt wird) gemein und besitzen genau wie sie den Kampf-, Flucht- und Totstellreflex (Erstarrung). Bleibt unser Organismus nach einer Gefahrensituation jedoch in der Er-starrung stecken, wird die im Notfall bereit gestellte Überlebensenergie vom autonomen Nervensystem nur unvollständig oder verzögert abgebaut. Wie die Maus, die beim Zit-tern gestört wird, bleiben wir im Überlebensmodus und im Alarmzustand hängen. Die traumatische Energie bleibt im Nervensystem und als Traumaspur im Körper gebunden. Dadurch entstehen die Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung.
Genau hier kommt die Methode des Somatic Experiencing ins Spiel. Peter Levine ist überzeugt, dass der Mensch Traumata überwinden kann, indem er unter therapeutischer Anleitung sein natürliches Notfallverhalten vollständig zum Abschluss bringt. Ziel von Somatic Experiencing ist damit u.a., die Trauma-Energie im Nervensystem abzubauen und so dessen natürliche Selbstregulation wiederherzustellen. Dabei wird mit der Reakti-on auf ein Trauma und nicht mit dem Trauma selbst gearbeitet, was wiederum keine konkreten Erinnerungen an das Trauma notwendig macht.
Bei der Behandlung erarbeiten KlientIn und TherapeutIn anfangs Ressourcen, die während des damaligen Traumatas noch nicht zur Verfügung standen. Die KlientIn wird darüber hinaus von ihrer TherapeutIn angeleitet, Körperempfindungen, Impulse, innere Bilder, Gedanken, Verhaltensweisen, Gefühle und Bewegungen zu erforschen und diesen nachzuspüren. Dadurch nimmt die Betroffene wieder Kontakt zu ihrem eigenen Körper auf und hat so die Möglichkeit, ein neues Körpergefühl zu entwickeln. Falls gewünscht, kann mit Berührungen gearbeitet werden. Auf diese Weise wird zwischen der vorher erarbeiteten Ressource und den dosierten Traumaspuren im Körper hin und her gependelt, so dass die gebundene Energie auf sichere Art schrittweise entladen wer-den kann. Dabei soll so dosiert und schonend wie möglich vorgegangen werden, um Überforderung und Retraumatisierung zu vermeiden. Auf die Entladung reagiert der Körper der KlientInnen mit Kribbeln, Hitzegefühl, Zittern, Zähneklappern, Vibrieren oder starkem Gähnen. Die damalige Gefahren-Reaktion wird so zum Abschluss gebracht.
In erster Linie wird Somatic Experiencing zur Behandlung von Mono-Traumata genutzt, kann jedoch unter gewissen Umständen auch bei Entwicklungstraumata bzw. komplexen Traumafolgestörungen eingesetzt werden. Ich selbst bin jedoch skeptisch in Hinblick auf die Frage, ob diese Körpertherapie für Betroffene von sex*** Missbrauch von Beginn an geeignet ist. Oft verspüren diese eine solche Abneigung oder gar Hass gegen ihren Körper, dass allein die Alltagshygiene Probleme bereiten kann. Eine Therapie, die sich vor allem auf den Körper und seine Empfindungen konzentriert, kann daher anfangs stark überfordern bzw. eine Verschlimmerung hervorrufen. Heftige Körper(ab-)reaktionen wie Zittern, Zähneklappern oder Beben können zudem Angst auslösen und destabilisieren.
Aber wie immer ist sowohl die individuelle Ausgangslage der KlientIn als auch die fachliche Ausbildung und Erfahrung der TraumatherapeutIn entscheidend. TherapeutInnen, die nach ein bis zwei Grundkursen überzeugt sind, mit Somatic Experiencing komplex traumatisierte KlientInnen behandeln zu können, sollten auf jeden Fall gemieden werden. Bevor Sie sich für diese Methode entscheiden, sollten Sie daher eine gründliche Recherche sowie einige Probestunden einplanen.
Informationen zu weiteren Traumatherapie-Methoden finden Sie in dem Buch ""Ein kleines, feines Leben: Heilung durch Traumatherapie
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