Sui***-Gedanken sind ein sehr heikles Thema. Daher habe ich lange überlegt, ob ich das Thema in diesem Blog erwähnen soll oder nicht. Aber es darf kein Tabu sein. Denn gerade bei schwerster und schwerer ME/CFS fühlen sich viele Betroffene dem Tod näher als dem Leben. Der Freitod und die Entscheidung für ein begleitendes Sterben in Würde sind dann eine ernstzunehmende Entscheidung, die akzeptiert werden muss. Sie bietet Erlösung für einem unaushaltbaren Zustand. Auch ich habe in meiner Patientenverfügung entsprechende Wünsche niedergelegt.
Gleichzeitig ist jeder Freitod einer zu viel. Und es ist erschreckend, wie
viele Betroffene mit Suizidgedanken zu kämpfen haben. Da ich jedoch selbst schon
davon betroffen war, kann ich dies gut nachvollziehen. Es gibt Phasen und
Momente, in denen Betroffene keinen Ausweg mehr sehen. Schwere Depressionen
können bewirken, dass alles sinnlos erscheint. Manche Symptome und Schmerzen
scheinen unaushaltbar. Durch zu wenig Schlaf gerät man in einen
Ausnahmezustand. Angst, Verzweiflung oder Schuldgefühle nehmen überhand. Unumkehrbare
Schädigungen machen das frühere Leben unmöglich. In diesen und vielen anderen
Situationen können Gedanken auftauchen, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen.
Sui**-gedanken gehören damit zu den typischen Folgen einer schweren Erkrankung
und können chronischer Natur sein. Oft treten sie jedoch nur phasenweise oder
in Krisen auf.
handeln sie in akutsituationen
Sollten Sie selbst davon
betroffen sein, bitte ich Sie eindringlich, sich gut zu überlegen, inwieweit Sie
diese Gedanken umsetzen wollen. Auch wenn Ihre Situation in diesem Moment
unaushaltbar und unauflösbar erscheint, halten Sie sich bitte erst einmal zurück.
Nehmen Sie Medikamente zur Beruhigung, versuchen Sie sich, durch Übungen zu beruhigen. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über Linderung der Schmerzen und Schlafprobleme.
Suchen Sie in akuten Gefahrensituationen Ihre Notfall-Telefonliste heraus. Und dann telefonieren Sie umgehend die dort
stehenden Telefonnummern nacheinander ab und bitten um Hilfe. Inwieweit Sie
sich im Zweifelsfall in die nächstgelegene Psychiatrie einweisen lassen wollen,
sollte jedoch ganz allein von Ihrem Wunsch abhängen – und von der hiesigen
Psychiatrie. Wenn diese mit ME/CFS nicht umgehen kann, wäre es eher eine
Verschlechterung. Wichtig wäre auf jeden Fall, dass Sie sich im Notfall freiwillig
einweisen lassen. Sie haben dann wesentlich mehr Mitbestimmungsrecht und können
die Klinik auf eigene Verantwortung wieder verlassen.
Die Telefonseelsorge wäre eine
weitere große Hilfe. Rufen Sie diese in einem solchen Notfall an. Entscheidend
ist, dass Sie sich zu keiner Kurzschlusshandlung hinreißen lassen. Sagen Sie
sich selbst, dass es nur Suizidgedanken sind und dass sie vorbeigehen werden.
Nehmen Sie alle Kraft, die Sie noch haben und sagen Sie sich, dass Sie mehr
sind als die aktuellen Gedanken und Gefühle. Lenken Sie sich ab und denken Sie
an die schönen Momente in Ihrem Leben. Nehmen Sie Ihr Glückstagebuch und lesen
Sie laut daraus vor. Schauen Sie – wenn möglich - einen schönen Film oder ein
gutes Buch. Alles ist richtig, sofern es Sie von den zerstörerischen Gedanken
abhält.
der umgang mit chronischen sui**-gedanken
Über chronische oder phasenweise
auftretende Sui***-gedanken sollten Sie mit einer Person Ihres Vertrauens offen
reden. Freunde und Familie können mit dem Thema sehr schnell überfordert sein,
während Hausärzten und Seelsorgern die Fragestellung nicht fremd ist. Manchmal
reicht es aus, die – für Sie so ausweglose – Situation zu thematisieren, um
danach gemeinsam Lösungen zu finden. Ein ehrliches Gespräch kann erst einmal
entlasten. Eine Psychotherapie kann zudem bei der Krankheitsbewältigung helfen.
Bei Depressionen sollten Sie einen Psychiater aufsuchen. Mit ihm können Sie
über die Basis- und die Notfallmedikation sprechen. Er kann Sie auch
medikamentös besser einstellen, sodass die Sui***-gedanken eventuell schon an
Macht verlieren oder sogar verschwinden. Wenn Sie wollen, können Sie auch einen
Selbstschutzvertrag mit der Person Ihres Vertrauens schließen. In diesem
Vertrag vereinbaren Sie, dass Sie sich bei Sui***-gedanken umgehend bei ihr oder
in einer Psychiatrie melden oder dass Sie mit einer Entscheidung auf jeden Fall
bis zur nächsten Sprechstunde warten und das Thema dort ansprechen etc. Legen
Sie dann ein Exemplar des Vertrags in Ihren Notfallkoffer. In schweren Krisen können
Sie ihn auch an eine Wand hängen, auf die Sie regelmäßig schauen. So dient der
Vertrag als Erinnerung.
Gleichzeitig bitte ich
eindringlich, niemals mit Selbstmord zu drohen, um Ihre
Mitmenschen zu erpressen. Bitte sprechen Sie den Satz „Ich bringe mich um, wenn
Du … nicht machst.“ nie aus. Es ist zum einen alles andere als fair gegenüber
Ihrem Umfeld und kann Ihren Mitmenschen sehr schaden. Zum anderen können Sie
damit langfristig wichtige Beziehungen zerstören, weil sich Ihre Freunde
irgendwann von Ihnen abwenden werden. Menschen, die zu oft mit Sui*** drohen,
werden in der Regel irgendwann nicht mehr ernst genommen. Sie würden in einem
echten Notfall keine Unterstützung mehr bekommen.
Sollten Sie jedoch persönlich nach
reiflichem Überlegen zu der Entscheidung kommen, dass Sie diesem Leid wirklich
ein Ende bereiten wollen, dann wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie
die notwendige Unterstützung in Ihrem Umfeld bekommen, um das Vorhaben
friedlich und würdig umsetzen zu können. Sprechen Sie das Thema dann in einem
guten Augenblick in Ihrer Umgebung an und beschäftigen Sie sich mit
Patientenverfügungen und Co. Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie u.a.
bei der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e. V. bzw. auf deren
Website www.dghs.de.
Aufgrund eigener Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugend weiß ich selbst, wie es ist, durch Sui***-Drohungen verängstigt und manipuliert zu werden. Ich möchte aufgrund von starken Triggern hier darauf nicht weiter eingehen. Aber eines ist sicher: Mit einem solchen Verhalten schadet man sich selbst und seinen Mitmenschen. Niemand profitiert davon.
Weiterhin kenne ich selbst Sui***-Gedanken aus schweren Krisen. Lange Zeit
machte ich diese Gedanken mit mir selbst aus. Ich traute mich nicht darüber zu
sprechen, da ich überzeugt war, dass mich die Menschen abweisen würden. Zudem
hatte ich Angst, sofort in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen zu werden.
Irgendwann ging es mir aber so schlecht, dass ich die Flucht nach vorn ergriff
und davon erzählte. Damals war ich sehr froh über die mitfühlenden und
achtsamen Reaktionen. Vor allem mein Hausarzt half mir sehr, indem er dem Thema
weder auswich noch in Panik geriet. Im Gegenteil: Er wollte sehr konkret von
mir wissen, wie ich einen Sui*** plane. Heute ist mir klar, dass er anhand
meiner Schilderungen einschätzen konnte, wie weit ich in meinem Sui***-Gedanken
schon vorgedrungen war und wie schlimm die Situation wirklich war. Für
ihn war das alles kein Tabu. So konnten wir ernsthaft darüber reden, was zu tun
wäre, um mich in Sicherheit zu bringen. Wir haben seitdem die Vereinbarung,
dass ich jederzeit vorbeikommen kann, wenn etwas sein sollte. Und ich weiß
heute, dass ich bei ihm kein Redeverbot, sondern Unterstützung vorfinde, die
sehr entlastend wirken kann.
Mein Mann wiederum half mir sehr,
indem er mir in einer schweren Krise den Film „Ist das Leben nicht schön?“
besorgte und mit mir anschaute. In diesem alten Film, der gern zu Weihnachten
gezeigt wird, spielt James Stewart einen Mann, der schon immer seine Wünsche
und Träume für seine Familie und Mitmenschen hintenangestellt hat. Dieser Mann
heißt George. An einem Weihnachtsabend weiß George keinen Ausweg mehr, weil
seine Bank, die vielen Menschen in seiner Stadt geholfen hat, ruiniert ist. Er
will sich umbringen. Da schickt ihm der Himmel einen Engel zur Rettung. Anfangs
ist dieser mit George stark überfordert, bis er auf die Idee kommt, George
aufzuzeigen, wie das Leben ohne ihn und sein Wirken ausgesehen hätte. Der Film
half mir sehr. Ich weinte noch stundenlang danach. Aber ich hatte wieder Mut
gefasst. Mein Mann und unsere Hunde hielten mich immer wieder im Leben fest. Es
war gut, für die Hunde verantwortlich zu sein. Und mir war und ist klar, dass
ich den Menschen, den ich am meisten liebe, nie allein lassen möchte.
Andere Dinge, die mir halfen und auch wieder helfen würden, sind z.B. meine
Glückstagebücher, das Lied von Rosenstolz „Wenn Du jetzt aufgibst“ und
Distanzierungsübungen wie z.B. die Tresor-Übung. Selbstverständlich nahm ich
auch die professionelle Hilfe meiner anderen Behandler in Form von Telefonaten,
E-Mails und kurzfristigen Terminen in Anspruch. Darüber hinaus hilft es mir
persönlich in Krisensituationen, zu duschen oder mich sofort auf mein Bett zu
legen, in eine Decke einzuwickeln und zu versuchen, mich „wegzuschlafen“.
Inzwischen habe ich oft genug die Erfahrung gemacht, dass ich in einem wacheren
und erholten Zustand einen besseren Überblick über gewisse Situationen habe.
Ich kann dann die vorherige, angstmachende und scheinbar ausweglose Situation
wieder nüchterner betrachten. Aber ich habe gleichzeitig vorgeplant. Für den
Fall, dass ich jemals wieder auf Bell 10 bis 20 rutschte, habe ich in meiner
Patientenverfügung notiert, welche Maßnahmen ich mir wünsche – und ab wann für
mich den Wunsch nach Sterbehilfe an erster Stelle steht. Mein Mann und mein
Hausarzt wissen diesbezüglich Bescheid und respektieren diese Entscheidung.