Mittwoch, 5. Juni 2024

Ein wohlwollendes Umfeld


Wenn Menschen schwer erkranken, werden Freund- und Bekanntschaften auf eine Probe gestellt.

Viele Betroffene erleben, wie bisherige Freunde und Bekannte mit der Erkrankung nicht umgehen können oder sogar die Erkrankung in Frage stellen. Anfangs bekommt man vielleicht von diesen Menschen noch Zuwendung, die mit der Zeit dann aber weniger wird. Da das Arbeitsleben für viele wegbricht, fallen auch die Bekanntschaften aus diesem Lebensbereich von heute auf morgen weg.

Andere Freunde wiederum sind unsicher, wie sie sich verhalten sollen. Sie wissen nicht, wie sie helfen können – und trauen sich vielleicht auch nicht, über die Erkrankung zu sprechen.

Die Betroffenen wiederum haben kaum Kraft, Beziehungen zu pflegen und werden dadurch immer einsamer. Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt – achtsam und in dem Tempo, der für die Erkrankten machbar ist.

Daher möchte ich an dieser Stelle einige Tipps für den Auf- und Ausbau eines wohlwollenden Umfelds geben, wobei die Frage „Wer tut Ihnen wirklich gut?“ im Mittelpunkt steht.

Hierfür sollten Sie zu Beginn eine ehrliche Bestandsaufnahme über den Zustand Ihrer Beziehungen und Verbündeten machen. Nutzen Sie dafür die folgenden Fragen. Falls Sie Bedenken haben, diese für sich allein zu beantworten, besprechen Sie dies bitte mit einem Behandler.

Bestandsaufnahme der Beziehungen 

·        Wer tut Ihnen gut?

·        Wen können Sie anrufen, wenn es Ihnen tagsüber schlecht geht?

·        Wen können Sie anrufen, wenn Sie nachts Hilfe benötigen?

·        Zu wem können Sie gehen, wenn Sie in Not sind?

·        Wer kann Sie in praktischen Situationen unterstützen, z.B. wenn Sie nicht aus dem Haus gehen können?

·        Wem vertrauen Sie so sehr, dass Sie ihr oder ihm wirklich alles erzählen können?

·        Wer kann gut zuhören?

·        Wer kann Sie gut ablenken?

·        Gibt es Menschen, die Sie aufmuntern können?

·        Mit welchen Menschen würden Sie gern etwas unternehmen, wenn Sie etwas Kraft haben?

·         Wie können Sie Kontakt halten (Soziale Medien, E-Mails, Briefe, Persönliche Kontakte, Anrufe?)

Beantworten Sie die Fragen ehrlich. Klären Sie auch für sich, wie Sie Beziehungen in Ihrem Zustand pflegen können - oder ob es zurzeit kaum machbar ist.

Mit Ihren Antworten haben Sie die Basis für weitere Überlegungen gelegt. Sie können nun überprüfen, wo Sie bereits gut versorgt sind und wo Sie mehr Verbündete wünschen oder brauchen. Im nächsten Schritt ist es sinnvoll, enge Freunde und Familienmitglieder in Ihre aktuelle Situation einzuweihen und nachzufragen, ob sie Sie unterstützen wollen. Neue Kontakte können wiederum über Selbsthilfegruppen, Gruppentherapien, Hobbykurse, Ehrenamt und Co. geknüpft werden. Auf diesem Weg können Sie schrittweise ein unterstützendes Beziehungsnetzwerk mit mehreren Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten aufbauen. Überfordern Sie sich jedoch nicht. Berücksichtigen Sie, dass die Größe eines Netzwerks stark von Ihrem Naturell, Ihrer Kraft sowie Ihrer Fähigkeit zur Beziehungspflege abhängt. Die Qualität der Beziehungen ist wichtiger als eine große Anzahl von Bekanntschaften. Wichtig ist zudem, dass Sie bei Ihren Verbündeten darauf achten, die Unterstützungslast auf mehrere Schultern zu verteilen. Sie sorgen damit nicht nur gut für sich, sondern haben auch das Wohl Ihrer Mitmenschen im Blick. Gleichzeitig machen Sie sich nicht zu abhängig von einer oder zwei Person-/en.

Ich selbst habe das große Glück, mich auf einen großartigen Partner verlassen zu dürfen. Zugleich hatte ich schon immer hilfreiche und liebevolle Freunde und Freundinnen an meiner Seite, die mich unterstützten. Aber auch ich musste erleben, dass sich Freunde abgewendet haben und ehemalige Kollegen mich auf der Straße nicht mehr grüßten. Das tut weh. Gleichzeitig habe ich durch die Erkrankung gelernt, auf welche Menschen ich mich wirklich verlassen kann. Jedoch gibt es immer wieder Zeiten, in denen ich einfach für mich allein sein muss. Dies ist bis heute so. Gerade wenn es mir körperlich sehr schlecht ging, war und ist es mir lieber, abzutauchen. Die Kraft reicht auch heute oft nicht aus, lange Konversation zu betreiben. Meine Freunde fanden dies anfangs befremdlich. Manche machten mir auch Vorwürfe. Inzwischen kennen sie jedoch meine Gründe und können diese zum Großteil akzeptieren. Sie wissen, dass mein Mann bei mir ist. Das beruhigt sie.

Dankbar bin ich denjenigen, die trotzdem einmal nachfragen und ihre Hilfe anbieten. Mir reicht es schon aus, dass jemand Verständnis zeigt und gern helfen würde. Allein dadurch fühle ich mich wahrgenommen, geliebt und geborgen. Schmerzhaft war jedoch die Feststellung, dass ich diese Geborgenheit nicht durch meine Familie spüren durfte. Der Großteil meiner Familie ließ mich allein oder machte mir sogar Vorwürfe. Damals war es eine bittere Enttäuschung. Aus Selbstschutz habe ich daher teilweise den Kontakt abgebrochen.

Zu einem wohltuenden Umfeld gehört auch, sich von schädigenden Kontakten zu trennen. Grenzverletzende Beziehungen sollten beendet werden, wobei das sehr, sehr schwer sein kann - und oft eine begleitende und unterstützende Psychotherapie notwendig macht.

Ein anderes großes Problem ist meine Duftstoffunverträglichkeit. Obwohl v.a. die Freunde meines Mannes immer nach mir fragen und mich auch mögen, vergessen sie, dass ich auf Duftstoffe allergisch reagiere - was v.a. schwierig ist, wenn das Gegenüber in Parfum oder Rasierwasser regelrecht gebadet hat. Nicht nur einmal musste ich schützen und Treffen verlassen. Hier muss ich noch viel Aufklärungsarbeit leisten, was ich jedoch als sehr schwierig empfinde - da man bei einem so intimen Thema wie Körperpflege sehr schnell den Anderen verletzen kann.

Und nicht zuletzt sind die professionellen Kontakte und ihre Bedeutung nicht zu unterschätzen. Egal, ob es sich um Ärzte, Physio-, Ergo- oder Psychotherapeuten, Pfleger oder Seelsorger handelt - sie sind bei schweren Erkrankungen eine wichtige Stütze und bieten im Idealfall Halt, Vertrauen und Unterstützung.

Ich selbst habe bereits durch meine Traumatherapie gelernt, wie entscheidend ein gutes und vertrauensvolles professionelles Helfernetz sein kann. Anfangs empfand ich meine traumatische Vergangenheit sowie die Folgen als untragbar für Dritte – und ich brauchte lange, bis ich mich anderen anvertraute. In diesem Zusammenhang war für mich von Anfang an wichtig, meinen Mann zu entlasten und die Bürde auf mehrere Schultern zu verteilen. Diesen Grundsatz habe ich bis heute beibehalten, auch wenn ich meine Traumatherapie schon längst beendet habe.



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