Samstag, 16. November 2024

ME/CFS-Kampagne in Deutschland sorgt für Empörung: "Aufklärungswinter" oder eher Verwirrung?


Lange haben Betroffene und Angehörige auf eine breit angelegte Aufklärungskampagne für ME/CFS in Deutschland gewartet. Während in Österreich (https://mecfs.at/ oder https://stroeck.at/me-cfs-awareness-und-spendenkampagne/) einige vorbildliche Kampagnen bereits starteten, ließ man sich in Deutschland etwas Zeit.

Nun ist es soweit
Die Initiative #LiegendDemo und die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS haben dankenswerterweise den #mecfsAufklärungswinter ins Leben gerufen. Der Patientenverein Fatigatio unterstützt die Aktion organisatorisch.

Interessierte, die sich an der Aktion beteiligen möchten, können die Aufklärungsposter und Flyer selbst ausdrucken oder über eigene Kosten bei flyeralarm bestellen und diese in der eigenen Stadt oder dem eigenen Umfeld, wo es erlaubt ist, verteilen.

Die Kampagne
besteht aus sechs Plakaten, die jeweils ein einzelnes Symptom der Erkrankung aufzeigen sowie einem Flyer. Alle Motive können Sie unter dem link https://www.mecfs.de/mecfsaufklaerungswinter/ anschauen. Auch die Druckdaten sind dort als Download verfügbar.

Starke Kritik

Die Kampagne steht bereits vor Start stark unter Beschuss. Vor allem ein Plakatmotiv (" müde Frau mit Kaffeetasse" zum Symptom "unerholsamer Schlaf") wird zurecht scharf kritisiert.

Mit diesem Motiv agierte die deutsche Gesellschaft für ME/CFS nicht nur gegen ihre eigenen Presserichtlinien ("Verwenden Sie keine Stockbilder von „müden“ oder „erschöpften“ Menschen.", siehe https://www.mecfs.de/presse/infos-zu-me-cfs/), sondern verharmlost die Erkrankung unfreiwillig.

Leider reagieren die Patientenorganisationen bisher nicht auf die gerechtfertigte, oft differenzierte Kritik der Betroffenen, die sich zurzeit zu Recht echauffieren.

Auch bei anderen Plakaten ist sehr fraglich, ob die Zielsetzung, über ME/CFS aufzuklären, wirklich erreicht werden kann.

M.E. haben die Patientenorganisationen mit dieser Kampagne, die sicherlich gut gemeint war, einige Fehler gemacht:

a) Sie haben die Hauptzielgruppe und ihre Vereinsmitglieder nicht vor Werbestart ins Boot genommen sowie die grundlegende Marktforschungsmaßnahmen übergangen, die für den Erfolg einer Werbekampagne notwendig sind. Es gab keinerlei Panel-Befragungen unter den Betroffenen oder Vereinsmitgliedern - obwohl dies in einem Verein kostengünstig möglich ist.

b) Sie haben die Symptome der ME/CFS zwar alle aufgelistet - jedoch auf einzelnen Plakaten. Damit haben sie völlig außer Acht gelassen, dass nirgendwo sechs Plakate nebeneinander Platz haben werden, sondern dass meist nur ein einziges Plakat Platz haben wird. Die Plakate zusammen haben eine akzeptable Wirkung, solange man das Bild mit der müden Frau rausnimmt. Denn sie zeigen das Portfolio der Symptomlast auf. Wird jedoch nur ein Plakat genutzt, ist die Botschaft kaum nachvollziehbar bzw. missverständlich. Zudem wird die Schwere der Erkrankung sowie die niedrige Lebensqualität vieler Betroffener nicht klar kommuniziert. Bagatellisierung trifft es auf den Punkt. Damit wird mehr Verwirrung und Schaden als Nutzen entstehen.

c) Sie haben bei der Gestaltung der Plakate nicht darauf geachtet, dass Privatpersonen diese kostengünstig drucken können. Mit einem vollblauen Hintergrund und negativer Schrift werden die Tonerkosten eines  in die Höhe steigen. Bei einem solchen Vorhaben wäre ein Hauch Praktikabilität und Knowhow von Vorteil gewesen.

d) Sie reagieren aktuell nicht auf die Kritik der Vereinsmitglieder und Betroffenen, sondern stellen sich stumm.

Das alles ist in Hinblick auf das Commitment der Vereinsmitglieder und Betroffenen sowie den Erfolg der Kampagne ein Riesenfehler - v.a. wenn man bedenkt, dass die Betroffenen die Kampagne durch Druck und Verteilung von Postern und Flyer aktiv und finanziell unterstützen sollen.

Um die Kampagne noch zu retten wäre es gut,

a) das Plakat mit der müden Frau und der Kaffeetasse (wer mit ME/CFS darf noch Kaffee trinken???) zu entfernen,
b) sich bei den Vereinsmitgliedern und Betroffenen für die Nicht-Reaktion zu entschuldigen und v.a.
c) nur die unstrittigen Plakate und Flyer für die Kampagne zu nutzen,
d) bei der Whatsapp-Kampagne z.B. die Musik auszustellen, da Betroffene diese zum Teil garnicht aushalten können. Selbst ich mit Bell 60 finde das sehr anstrengend.

Für die Zukunft ist es unabdingbar, die Vereinsmitglieder und Betroffenen bei der Erstellung solcher Kampagnen mit ins Boot zu holen. Denn die Organisationen werden nun mal u.a. von den Betroffenen getragen. Und auch wenn viele in den Organisationen ehrenamtlich unterwegs sind, so sollte zukünftig der Qualitätsanspruch sowohl in Bild und Sprache zudem ein anderer sein. Man kann das besser machen wie Österreich oder auch der Weltverband für Physiotherapie bereits gezeigt haben. Auch die deutschen Patientenorganisationen haben bisher vorbildlich gearbeitet. Daher verwundert dieses aktuelle Resultat und Dilemma umso mehr!


Daher mein Aufruf bei Facebook:

"Liebe Deutsche Gesellschaft für ME/CFS,

trotz der dankenswerten Initiative ist das Resultat auf vielen Ebenen wirklich bedauerlich.

Die Fehler, die sowohl inhaltlich (falsche Botschaften) als auch praktisch (dunkler Hintergrund, für Eigendruck viel zu teuer) und in Hinblick auf Qualität und Commitment der Vereinsmitglieder und Betroffenen (keine vorherigen Panelumfragen etc.) gemacht wurden, sind eklatant.

Ich habe mir die Mühe gemacht, die aktuelle Kampagne differenziert zu betrachten in einem Blog-Beitrag - und mir auch Gedanken gemacht, wie man aktuell noch einiges retten kann.

Vielleicht nehmen Sie sich einfach die Zeit, sich den Text einmal durchzulesen und sich darüber Gedanken zu machen. Als ehemalige Marketing-/ PR- und Werbeleiterin wäre ich auch bereit, sie bei zukünftigen Kampagnen zu unterstützen, damit solche Fehler nicht mehr passieren.

Denn es gibt die Möglichkeit, das besser zu machen - was bereits in anderen Ländern gezeigt wurde.
Also steckt bitte den Kopf nicht in den Sand, sondern steht dazu - und macht das Beste daraus.

Krisenkommunikation ist nun angesagt" 

Nachtrag:


Angesichts der Reaktion eines Vertreters von #Liegend Demo (s.u.) auf die vielfachen Beschwerden wird deutlich, dass da einiges gewaltig schieflief. Er ist purer Hohn für jeden, der an dieser Erkrankung leidet. Wegen einer "harmlosen Erkrankung" leide ich inzwischen an 20 (!) teilweise schwerwiegenden Begleit- und Folgeerkrankungen und war schon mehrmals nahe am Sui***. 


Langsam ist es nicht nur Verwirrung, sondern ein heftiger Skandal.


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