Zurzeit geht eine Zitronen-Challenge von ME/CFS research viral.
Damit will die Organisation zum einen ME/CFS bekannter machen, zum anderen
Spenden generieren.
Vorab
Da ich selbst vor zwei Jahren für kurze Zeit mit einem früheren Gründer und
Geschäftsführer der Organisation ehrenamtlich zusammengearbeitet habe und
damals in einem 22seitigen Marketingkonzept eine Promi-Challenge vorgeschlagen
habe, bin ich persönlich betroffen angesichts der Tatsache, dass meine
damaligen Ideen verwendet werden, ohne mir Bescheid zu sagen. Damals wurden die
Vorschläge abgelehnt. Kein guter Stil… und angesichts der schlechten Umsetzung
sehr ernüchternd.
Warum ich nicht teilnehme
a) Eine Challenge ist für GESUNDE und PROMIS gedacht (siehe Ice Bucket Challenge).
Sie ist in der Regel nicht dazu da, dass Erkrankte sich in Videos erklären
müssen. Die Organisation ruft jedoch auch Betroffene dazu auf, in Zitronen zu
beißen.
b) Viele Betroffene haben große Probleme mit histaminhaltigen Lebensmitteln und
dürfen daher gar keine Zitrusfrüchte mehr zu sich nehmen. Ich z.B. würde
wahrscheinlich in einen anaphylaktischen Schock rutschen, wenn ich in eine
Zitrone beißen würde. Damit zeigt sich leider, dass die Organisation sich noch
nicht mal die Mühe gemacht hat, über die Erkrankung nachzudenken. Sie ruft
Erkrankte explizit auf, mitzumachen. Wenn man bedenkt, wie viele ME/CFSler aufgrund
der unzureichenden Aufklärung und Diagnostik noch nicht wissen, dass sie
Histaminprobleme haben könnten, kann das für einige sehr gefährlich werden bzw.
zu einem Crash führen.
c) Im Netz kursieren daher von Betroffenen u.a. Ideen, Zitronen auf ein Blatt
Papier zu malen und in das Blatt zu beißen. Damit wird schon deutlich, dass die
Challenge ins Aberwitzige abrutscht.
d) Es gab in der Vergangenheit und in der Gegenwart bereits einige Lemon Challenges,
die fast alle mit Spaß, Erfrischung, Gesundheit und Co. verbunden wurden. Wenn
man nach „Lemon Challenge“ googelt, findet man daher zig Videos von lachenden Menschen und Wettbewerben, in denen es darum, geht, keine Miene zu verziehen. Damit ist das Thema leider
verfehlt. Der Streuverlust ist zudem zu groß.
e) Es stimmt traurig, dass für so eine schwere Erkrankung noch nicht mal ein
Alleinstellungsmerkmal gefunden wurde – sondern einfach frühere bzw. aktuelle Challenges
völlig unkreativ nachgeahmt wurden.
f) Da Zitronen für Frische, Energieschub, Gesundheit, Vitamine, prickelnder Spaß
und Co. stehen, ist der Versuch, den Zusammenhang zwischen einem Biss in die
Zitrone und der unaushaltbaren Reizüberflutung bei ME/CFS darzustellen, leider
gescheitert. Besser wäre es dann wirklich gewesen, garkeinen Zusammenhang
zwischen dem Zitronenbiss und der Erkrankung darstellen zu wollen. Damit könnte
man vielleicht noch leben. Ansonsten wird wieder verharmlost ohne Ende.
g) Die meisten gemeinnützigen Organisationen haben inzwischen begriffen, dass
die Spendenbereitschaft der Menschen steigt, wenn konkrete Projekte benannt
werden – und die Menschen sich dann entscheiden können, für welches Projekt sie
spenden wollen. Das macht inzwischen jeder gute Tierschutzverein sowie Unicef
oder, oder… . Bei ME/CFS research scheint diese Information noch nicht
angekommen zu sein.
h) Da ich persönlich manche Forschungsprojekte und -vorhaben in Deutschland zurzeit sehr kritisch sehe, würde ich nie ins Blaue hinein spenden. Andererseits gibt es Projekte, für die ich liebend gern spenden würde, wenn ich die Möglichkeit hätte. Hier fehlt mir jedoch die Transparenz und die Möglichkeit der zielgerichteten Spende bei ME/CFS research.
i) Darüber hinaus ist das Timing für viele Spendenwillige zu spät. Großspender bzw.
Firmen haben meist bereits im November entschieden, wofür sie spenden wollen.
Die meisten Weihnachtsfeiern fanden schon statt. Und auch die meisten Organisationen,
die zur Weihnachtszeit Spenden einsammeln, hatten sich bereits vorher brieflich
oder per Mail bei potentiellen Spendern gemeldet.
j) Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass viele Beteiligte mit Spaß an dieser
Aktion teilnehmen werden. Es wird eine Gaudi für viele werden. Wenn sie die brauchen, dann nur zu. Aber ich bezweifle stark, dass
die Challenge der erwünschten Erfolg bringen wird.
j) Da eine Challenge nur eine einmalige Chance birgt (missglückte Werbekampagnen kann man vergessen bzw. verbessern, eine Challenge bleibt in den Köpfen), ist wieder einmal eine Chance vertan, in Deutschland angemessen über die Erkrankung aufzuklären. Das ist wirklich schade.