Während andere Weihnachten und Sylvester feierten, lagen mein Mann und ich mit einer schweren Corona-Erkrankung im Bett. Wir waren bemerkenswerte drei Wochen positiv, was erschreckend war.
Und während mein Mann recht schnell wieder auf ein akzeptables Level kam, so dauerte es bei mir viel, viel länger. V.a. hatte ich mit völlig neuen
Symptomen zu kämpfen wie sehr schnellem Puls auf alle möglichen Reize und bei
Spaziergängen. Die Angst, dass ich aus dem Tal nicht mehr herauskomme, war groß (und meldet sich auch heute noch manchmal).
Daher brauchte ich ein Selbsthilfe-Programm v.a. zur Selbstdisziplin, aber auch zur
Beruhigung. Zudem leuchtete mir ein, dass die Gefahr der Dekonditionierung
genauso so groß war wie die Gefahr der Überforderung. Und da brauchte
ich Unterstützung.
Ich entschied mich daher für das
reactive-Programm:
a) dass ich mit dem Puls auf max. 110 hochgehen darf
(und
nicht nur wie beim Pacing-Regeln aufgrund meines Alters auf max. 100. Ich
wusste, dass die Pacing-Richtlinien bei älteren Leuten schlecht
umsetzbar, weil die Pulsgrenzen dann völlig unrealistisch sind... aber
mir war nicht bewusst, dass das schon auf mich zutrifft)
b)
wie sehr ein Herz nach einer schweren akuten Infektion belastet ist und mit
Reizen nicht mehr klarkommt.
Da hatte ich natürlich das Glück, dass mein
Osteopath mir das nochmals sehr klar erklärte als Ergänzung (und mir
deutlich machte, dass das auf fast alle Menschen zutrifft - und nur bei
dem einen schneller, bei dem anderen langsamer geht). Er war früher
Physiotherapeut beim HSV, kannte sich daher auch mit Rekonvaleszenz etc.
recht gut aus.
Das nahm mir ein wenig die Angst - v.a. nachdem ich dann
auch als Beweis ein EKG schreiben ließ und bei einer Lungenärztin war,
wo alles o.B. war. Mit diesem Wissen konnte ich auch sehr viel befreiter
z.B. die Somatic Experiencing-Übungen und das Brain Retraining
durchführen.
c)
dass es Sinn ergibt, v.a. nach körperlichen Belastungen, die gewünscht
sind (im Rahmen dessen, was möglich ist) sofort eine aktive
Erholungsphase durchzuführen, um den Körper inkl. Emotionen und Gedanken
wieder auf 0 zu bringen. So konsequent war ich vorher nicht.
d) dass es anfangs sinnvoll ist, wirklich minütiös Buch zu führen in Hinblick auf Aktivitäten und Puls und Sauerstoffsättigung.
e) dass Anpassungsreaktionen (im Gegensatz zu Crashs) völlig normal sind und dazu gehören bei einem Wiederaufbau.
Dank all der Maßnahmen konnte ich z.B. recht schnell erkennen, dass bei mir morgens z.B. der
hohe Puls nach dem Essen und dem Rausgehen nicht auf die Belastung
zurückzuführen war, sondern auf das Essen. Dadurch erkannte ich dann,
dass ich Probleme mit dem Blutzucker durch ein Budesonid-Spray bekommen habe
(was inzwischen Gott sei Dank ausgeschlichen ist und alles wieder ok
ist).
Ich
erkannte, dass sich mein Puls nach einigen Minuten Gehen und Stehen (in
denen anfangs der Puls sehr hoch war und ich echt teilweise Panik
bekam) völlig normalisierte - und dass die Bewegung (anfangs in sehr
kleinem Rahmen) gut tat. Und ich erkannte, dass eine aktive
Entspannungseinheit direkt nach dem Frühstück z.B. die Pulsspitzen stark
senkte.
Wenn
ich das nicht gewusst hätte mit den Reizen, hätte ich mich vor lauter
Angst eventuell sofort hingelegt und mich garnicht mehr rausgetraut. Vor
allem die ersten drei Wochen waren sehr schlimm - und ich war teilweise
sehr verzweifelt und habe auch viel geweint. Eventuell wäre ich dadurch
in einen Teufelskreis gerutscht, was dank des Programms nun nicht
passierte.
Heute
- einige Wochen später - bin ich wieder fast normal unterwegs (also ca.
10 000 Schritte am Tag auf zwei bis drei Gängen). Das Tempo ist wieder
normal, während ich anfangs echt geschlichen bin und noch sehr oft
stehen bleiben musste - was sowohl für meinen Mann als auch meine Hündin
sehr schwer auszuhalten war.
Meine
große Runde (ca. 5000 Schritte) ging ich heute nun schon zum zweiten
Mal... am Sonntag war es echt heftig zum Schluss, heute problemlos trotz
des kalten Wetters. Und am Wochenende schaffte ich auch die ersten
Steigungen wieder ohne Pulsspitzen, was noch vor einer Woche schwierig
war. Daher bin ich guter Dinge, dass es wieder aufwärts geht - und
vielleicht sogar ein wenig mehr als vorher möglich ist.
Inzwischen
habe ich mich auch wieder beim Spaziergang und den alltäglichen
Aktivitäten vom Pulsoximeter emanzipiert, das bei sonnigem Wetter
sowieso nicht richtig funktioniert. Da hat mir meine Physiotherapeutin
wieder gut zugeredet. Bei meinen Muskelaufbau-Übungen wiederum bin ich
noch vorsichtig, arbeite mich jedoch langsam ein - und kontrolliere noch
sehr viel.
Was mich bei Reactive anspricht:
-
die Kombination zwischen Ermutigung zur Bewegung (es wird in vielen
Videos erklärt, warum diese so wichtig ist) und dem Brain Retraining.
- Kurze, sachliche und gut gemachte Erklärvideos ohne viel Brimbamborium
-
Wunderschöne Entspannungsübungen, für die ich Leonie wirklich sehr
dankbar bin. Ich habe ja in den letzten 23 Jahren sehr viele
kennengelernt, aber diese sind für mich individuell wirklich perfekt
(Autogenes Training, Fantasiereisen, Körperreisen, Farbreisen, Somatic
Experiencing, Imaginationen, darüber hinaus Körper-/ Nervus Vagus-Übungen)
Was ich nicht so gut finde:
Bei
der begleiteten Variante, die in der Tat sehr teuer ist, findet das
Einzelgespräch sehr viel später statt als von mir erwartet. Es wird
davon ausgegangen, dass die Leute anfangs an den sogenannten
Gruppen-Calls teilnehmen, wo schon sehr viele Fragen aufgefangen werden.
Die Gruppen sind nicht zu groß und werden auch sicherlich gut
moderiert. Aber mir wäre es zuviel, alle paar Tage einen Call von ca.
1,5 h zu machen... und ich hätte Angst, durch mein Wissen wieder in die
Helferrolle zu rutschen. Daher habe ich das Begleitprogramm dann doch
wieder storniert.
Darüber
hinaus ergibt so ein Brain Retraining in einer gewissen Weise ja auch
nur Sinn, wenn gewisse Symptome wirklich keine Bedeutung haben - und die
Organe eigentlich gesund sind. Das wird m.E. zu wenig angesprochen.
Ich hoffe, das gab ein wenig einen Einblick.
Ich
bin mir natürlich bewusst, dass so ein Programm, die Ansprache und die
Vorlieben sehr individuell sind - und dass es sicherlich andere gibt,
die es weniger gut finden.
Für
mich sehr kritischen und eher sachlichen Geist ist es jedoch genau das
Richtige zurzeit. Es hilft mir, konsequent zu bleiben bei der aktiven
Entspannung und unterstützt mich in der Regeneration. Und genau das
wollte ich erreichen.