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Mittwoch, 20. November 2024

BC007-Aus: Warum wird die noch laufende reCOVer-Studie an der Uniklinik Erlangen vergessen?


In der letzten Wochen veröffentlichte die Firma Cures AG eine Stellungnahme zum "Aus" des Medikamentenwirkstoffs BC007.

Auch ich berichtete darüber:
https://www.lebenmitmecfs.de/2024/11/erfolgversprechende-forschung-vor-dem.html

Nun stellt sich jedoch dank einiger guter Journalisten heraus, dass beileibe noch nicht alle Studien beendet wurden. Die reCOVer Studie der Universitätsklinik Erlangen unter der Federführung von PD Dr. Dr. Bettina Hohberger läuft noch.

Sie berichtete folgendes:
"Da das Studiendesign der firmeneigenen Phase-II-Studie der Berlin Cures GmbH ein anderes ist als das der universitären Phase-II-Studie reCOVer, kann von deren Ergebnissen nicht auf die Ergebnisse von reCOVer geschlossen werden. Aktuell ist die finale Auswertung von reCOVer noch ausstehend."

Quelle: BC007 - Rückschlag bei Post-Covid-Forschung

Über die ReCOVer-Studie finden Sie hier weitere Informationen:
reCOVer: Das Auge als Fenster zum Körper Einfluss von Autoantikörpern auf die Durchblutung bei Patientinnen und Patienten mit Long-COVID

Klar ist inzwischen, dass eine einmalige Gabe nicht ausreicht. Aber alle anderen Ergebnisse der Studie sind noch unklar.

Das Handeln der Medikamentenfirma ist wieder einmal rätselhaft - genauso rätselhaft wie vor zwei Jahren, als die bereits angekündigte ME/CFS-Studie mit dem Medikamentenwirkstoff plötzlich abgeblasen wurde, obwohl die dafür notwendigen 5 Mio. EUR bereits zur Verfügung standen durch Spenden und Gelder der bayrischen Landesregierung.

Der Insolvenzantrag der Berliner Cure GmbH kann kein Grund sein. Denn der Holding Cure AG geht es gut. Sie könnte die deutsche Gesellschaft weiterhin stützen, wenn ihr wirklich an einer grundlegenden weiteren Forschung liegen würde.


Sonntag, 17. November 2024

Neu! "Kopf über Wasser: Leben mit ME/CFS und MCAS" nun auch als E-Book erhältlich

 


Das Buch "Kopf über Wasser: Leben mit ME/CFS und MCAS" ist nun auch als E-Book-Ausgabe für 10,99 EUR erhältlich, u.a. bei amazon.de

Dort finden Sie inzwischen auch die ersten Reszensionen zu der Printausgabe.

Geld fehlt in der ME/CFS-Forschung: MDC002 von Mitodicure

Das Startup-Unternehmen Mitodicure wurde gegründet, um die Forschung an MDC002 voranzutreiben (siehe auch Deutsche Apotheker Zeitung: Start-up präsentiert Arzneistoffkandidat gegen chronisches Erschöpfungssyndrom). Leider fehlt es bisher an den notwendigen finanziellen Mitteln in Höhe von 20 Mio Euro, um die Phase 1 zu starten. In einem aktuell investitionsfeindlichen Land wie Deutschland und der Ignoranz, die hierzulande in Hinblick auf ME/CFS und Co. zu spüren ist, eine Hürde, die nur schwer genommen wird. Für Arzneistoffkandidaten in onkologischen Nischenindikationen werden solche Beträge regelmäßig ausgegeben.

Welche Annahmen stehen hinter dem Medikamentenwirkstoff MDC002?

Prof. Klaus Wirth, einer der Gründer und Gesellschafter von Mitodicure, hat in den letzten Jahren zu ME/CFS intensiv geforscht. Auf der Fatigatio-Fachtagung in diesem Jahr erläuterte er ein umfassendes Krankheitsmodell und eine mögliche Therapie für ME/CFS. Laut seiner Hypothese beruht die Krankheit u.a. auf einer Muskelschädigung nach Belastung, die durch komplexe Gefäß- und Durchblutungsstörungen ausgelöst wird.

Wie vielen bereits bekannt ist, entwickelt sich z.B. nach einer akuten Infektion wie COVID-19 ein Post-COVID-Syndrom, das u.a. durch mikrovaskuläre Störungen geprägt ist. Bei etwa 15 % führt diese Problematik zu ME/CFS.

Wirth erklärte, dass sich in dem Zuge die Pathophysiologie von einer kapillären zu einer mitochondrialen Dysfunktion entwickle. Ihm zufolge verliert damit der ursprüngliche Auslöser, also z.B. die Infektion, an Bedeutung, da ME/CFS sich selbst am Leben hält. Der Teufelskreis bei ME/CFS (Belastung schädigt die Mitochondrien) führt dann zu PEM/ PENE.

Laut Wirth rühren die Symptome von einer mikrovaskulären Dysfunktion, die vor allem die Muskulatur und das Gehirn betrifft. Klinische Befunde zeigten bereits 2022 eine erhöhte Natriumkonzentration in den Muskeln von ME/CFS-Betroffenen, die negativ mit der Muskelkraft korreliert (siehe auch Tagesspiegel: Die gute Nachricht: Ursache der Muskelschwäche bei ME/CFS entdeckt).

Die Hypothese Wirths geht nun davon aus, dass der Natrium-Proton-Austauscher (NHE-1) die Natriumüberladung in den Muskelzellen verursacht. Weitere Probleme kommen hinzu wie z.B. die durch Autoantikörper blockierten Beta-Rezeptoren oder die Small-Fiber-Neuropathie. 

Wirth erläuterte weiterhin, dass eine Calciumüberladung in den Muskelzellen die mitochondriale Dysfunktion zudem verschärfe. Dies wirkt sich wiederum auf die ATP-Produktion und damit die Energieversorgung der Zellen aus. Basierend auf diesen Erkenntnissen möchte er das Medikament MDC002 entwickeln, das die Natrium- und Calciumüberladung verhindern und damit die belastungsabhängigen Symptome lindern könnte.

Modellrechnung
Was wäre, wenn jeder der über 500 000 ME/CFS-Betroffenen und der über 2 Mio. Long Covidler etwas zur Forschung beisteuern würden? Wenn man das durchrechnet, würde von jedem ein kleiner Beitrag von ca. 10 bis 80 EUR ausreichen. Aber wie kann man das organisieren? Eine Frage, die mich aktuell sehr beschäftigt.






   

Mittwoch, 13. November 2024

Eigene Erfahrungen mit Stellatum-Blockade


Vor einiger Zeit habe ich einen Beitrag über die Stellatum-Blockade geschrieben, den Sie hier finden.

Aufgrund der vielversprechenden Wirkung bei Long Covid habe ich mich nach eingehenden Gesprächen als ME/CFSlerin getraut, diesen Eingriff wahrzunehmen.

Meine Ärztin und ich sind sehr vorsichtig vorgegangen. Das - vorab auf Verträglichkeit getestete - Betäubungsmittel wurde verdünnt. Auch hatte ich bereits sehr gute Erfahrungen mit diesem gesammelt. Darüber hinaus habe ich mich wie immer bei Eingriffen mit den Medikamenten Histakut, Hydrocortison sowie 0,5 mg Tavor abgeschirmt, damit meine Mastzellen nicht zu stark aktiviert werden.

Leider bin ich jedoch sehr stark gecrasht, d.h. mein Nervensytem sowie mein Körper waren in den Tagen danach in einem Dauer-Alarmzustand, was sich v.a. in heftigsten Muskelschmerzen und -verspannungen, Schwäche sowie starker Migräne zeigte. Auch heute - fünf Tage später - geht es mir noch nicht wirklich gut. Mein Mann hat zwar den Eindruck, dass meine Stimme etwas kräftiger ist. Aber der Preis ist extrem hoch.

Eigentlich war eine Reihe von vier Behandlungen vorgesehen, die ich nun jedoch abgesagt habe.

Es ist sehr, sehr schade, da wieder eine Hoffnung beerdigt werden muss. Aber das Risiko ist einfach zu hoch, wieder und noch stärker zu crashen.

Sonntag, 10. November 2024

Wie teste ich meine Gene?

 

 

 In einigen Beiträgen

https://www.lebenmitmecfs.de/2024/10/live-expert-session-am-28102024-von.html

Die Suche nach Klarheit – eine Odyssee (2019 bis 2023)

wurde ja bereits klar, dass unsere Gene unsere Gesundheit stark beeinflussen können. In Hinblick auf Medikamentenverträglichkeit spielen dabei v.a. die Cyp-Gene eine große Rolle. Daher sollte man v.a. bei ME/CFS, MCAS und Salicylatintoleranz daran denken, zumindest einzelne Gene testen zu lassen.

Michaela Stiller erläutert auf ihrer Seite mycholinesterase.de vorbildlich, welche unterschiedlichen Wege der Gentestung beschritten werden können. Auch wenn sie sich in ihrem Fachgebiet auf den BcHE-Mangel konzentriert, so ist die Anleitung doch für alle Gene anwendbar.

Die Informationen finden Sie unter dem link
https://mycholinesterase.de/genetik/diagnose/#Vorgehensweise_nach_aerztlicher_Zustimmung


Dienstag, 5. November 2024

Schlafes Bruder

 
Manchmal ist man überfordert, obwohl man selbst schon so viel weiß. Das geht auch mir so.

Seitdem ich eine starke Erkältung hatte, haben sich meine - nun bereits seit Jahrzehnten bestehenden -  starken Einschlafschwierigkeiten sehr verschlechtert. Obwohl ich für meine Schlafhygiene bereits sehr viel tue, liege ich neben meinem schlafenden Mann stundenlang wach und führe eine Imagination sowie Ressourcenübung nach der anderen durch. Mein Amofit S blinkt vor sich hin. Aber es ändert sich nichts. Das Medikament Trazodon, das ich seit einigen Jahren offlabel verordnet bekomme, wirkt nicht mehr. Ähnlich ist es mit Atosil und Melatonin. Auch Muskelrelaxantien helfen kaum. Ich bin dann zwar noch etwas müder und entspannter - aber ich schlafe einfach nicht ein.

Die einzigen Mittel, die mir zurzeit helfen, sind
- Histakut und
- Low Dose Tavor oder Bromazepam.

Das ist ein bitterer Zwischenstand. Denn mir ist bewusst, wie wichtig guter Schlaf ist.

Aber so bleibt mir nur die Akzeptanz und die Klarheit, dass ich noch mehr Ruhe benötige als sonst - in der Hoffnung, dass sich dieser Zustand wieder legen wird.

Und es gibt mir die Chance, ein wenig mehr über die Medikamente zu berichten, die bei Schlafproblemen und ME/CFS gern verordnet werden:

- Melatonin:
Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Wie viel Melatonin der Körper bildet und ausschüttet, hängt von der Lichtintensität der Umgebung sowie vom Alter ab. Aber auch übermäßiger Genuss koffeinhaltiger Getränke, Alkohol oder Nikotin sowie sportliche Aktivität am Abend, Serotoninmangel sowie dauerhafter Stress können für einen niedrigen Melatonin-Spiegel verantwortlich sein. Die Dunkelheit in der Nacht regt die Ausschüttung an. Und genau hier liegt die Krux in unserem modernen Leben: Durch die ständige Beleuchtung, Blaulicht (PC, TV und Co.) wird bei vielen Menschen inzwischen zuwenig Melatonin gebildet, was zu Schlafproblemen führt.

Aktuell wird Melatonin daher sehr gern verschrieben zur Behandlung von Schlafstörungen. Auch sind unzählige Nahrungsergänzungsmittel freiverkäuflich. Daher gehen viele Betroffene davon aus, dass das Präparat sehr gut verträglich und ungefährlich ist.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass sich Melatonin nicht als Dauermedikament eignet und die Langzeitfolgen einer Einnahme noch nicht erforscht sind.

- Trazodon:

Dieses Antidepressivum wird gern offlabel bei Schlafproblemen verordnet; siehe auch https://www.meinwegausderangst.de/trazodon-als-schlafmittel/. Mein Psychiater ist überzeugt, dass es "noch am wenigsten anrichtet". Mir hat es bisher sehr geholfen - und ich hoffe, es hilft mir bald wieder so wie früher.

Die Bedeutung des Histamins für den Schlaf-Wach-Regulation ist nicht zu unterschätzen. Daher eignen sich Medikamente wie

- Atosil/ Promethazin
Dieses Medikament blockiert verschiedene Andockstellen (Rezeptoren) im zentralen Nervensystem des Körpers, u.a. auch die Rezeptoren des körpereigenen Botenstoffs Histamin. Dadurch  hat es eine antiallergische, schlaffördernde sowie beruhigende Wirkung und lindert Übelkeit und Erbrechen.
Zudem hemmt es bei Dopamin-Überschuss die Rezeptoren.

- Diphrenhydramin, Fenistil, Histakut
Diphrenhydramin ist ein H1-Antihistaminikum, das aufgrund der Blockade zentraler H1-Rezeptoren einen  sedierenden und antiemetischen Effekt hat und daher hauptsächlich als  Sedativum (Schlaf- und Beruhigungsmittel) oder Antiemetikum (Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen) eingesetzt wird. Laut der Sighi-Liste wirkt dieses jedoch leider als HNMT-Blocker, was gerade für Menschen mit einem eingeschränkten HNMT-Abbau von Nachteil sein kann. Daher bietet sich für diese Personen als Alternative Fenistil an. Bei einer gleichzeitigen Salicylatintoleranz muss jedoch auf Histakut ausgewichen werden, da Fenistil Benzoate enthält. Aber auch dieses Medikament ist eher für den Akutfall geeignet und sollte nicht länger als eine Woche am Stück eingenommen werden.

- Tavor, Bromazepam und Co.
Tavor und Co. sind Schlaf- und Beruhigungsmittel (Tranquilizer), die zu den Benzodiazepine gehören. Das Medikament senkt die Erregbarkeit der Nervenzellen und ist damit bei kurzfristigen Schlafproblemen sehr gut geeignet. Zudem ist inzwischen die mastzellstabilisierende Wirkung von Tavor und Co bekannt. Daher wird gerade bei einer stärkeren MCAS-Erkrankung eine niedrige Dosierung (1/4 bis 1/2 Dosis) 1 bis 2 x wöchentlich empfohlen, um die Mastzellen zu beruhigen.

Langfristig dauerhaft, also jeden Tag eingesetzt - und damit sind bereits schon zwei Wochen gemeint - schadet das Medikament jedoch der Schlafarchitektur und kann süchtig machen. Benzodiazepine haben ein hohes Risiko der Abhängigkeit. Neuere Weiterentwicklungen tragen den Namen Zolpidem und Co., haben eine etwas andere Wirkung, aber ein ähnlich hohes Abhängigkeitspotential. Daher sollten diese - egal, wie sie nun heißen - nur bei Bedarf und nicht täglich eingenommen werden.

Wer mehr darüber erfahren möchte, was man grundsätzlich für einen guten Schlaf alles tun kann, dem sei folgender Beitrag empfohlen: Schlafen



Mittwoch, 16. Oktober 2024

Verilong-Studie an der Charité mit Vericiguat

Die Charité Berlin führt unter der Leitung von Prof. Dr. Scheibenbogen eine Placebo-kontrollierte, doppelblinde Studie durch, in der das Herzmedikament Vericiguat getestet wird. Dieses wird normalerwiese bei Herzschwäche eingesetzt.

Das bedeutet, dass die Hälfte der Patientinnen und Patienten das Medikament und die andere Hälfte der Patientinnen und Patienten ein Placebo erhalten, das sie zuhause einnehmen. Weder die Patientinnen und Patienten noch die Untersuchenden wissen, wer welches Präparat erhält (doppelblind). Die Entscheidung der Zuordnung erfolgt zufällig. Darüber hinaus soll eine schrittweise Erhöhung der Vericiguat-Dosierung (2,5 bis 10 mg) in der 10wöchigen Behandlungsphase die Verträglichkeit sicherstellen. Probanden, die an Long Covid-Symptomen leiden und in Berlin oder Brandenburg leben, werden noch gesucht.

Mehr Informationen dazu finden Sie unter:
https://cfc.charite.de/klinische_studien/nksg/studie_veri_long/

Prof. Dr. Scheibenbogen erläutert in einem aktuellen Artikel der Apotheken Umschau die Wirkungsweise des Medikaments: ME/CFS: Leben mit chronischer Erschöpfung

Vergessen wurde in dem Artikel, dass bereits eine Reihe von ME/CFS- und Long Covid-Betroffenen dieses Medikament von ihren Ärzten bereits testweise verschrieben bekommen - und wie so oft auf eigene Faust ausprobieren, ob es hilft. Im Austausch in den Selbsthilfegruppen wird jedoch klar, dass der Erfolg fraglich ist. Vor allem berichten viele Betroffene, die das Medikament getestet hatten, von starken Nebenwirkungen (schwere Kopfschmerzen etc.), was schließlich zum Absetzen des Medikaments führte.

Ähnliche Erfahrungen musste auch ich machen, die im Frühjahr 2023 einen Versuch mit Vericiguat machte. Nach zwei Tagen musste ich das Medikament absetzen, da heftigste Kopfschmerzen und Grippesymptome mich völlig lahmlegten.




 



Dienstag, 6. August 2024

ME/CFS: Notwendige Maßnahmen bei Krankenhaus-Aufenthalten und auswärtigen Terminen


Krankenhausaufenthalte sind für ME/CFS-Betroffene eine schwere Belastung, die im Zweifelsfall eine enorme Verringerung ihrer Lebensqualität für Monate auslösen können. Leider wird immer wieder über schlechte Erfahrungen in Krankenhäusern berichtet. Stigmatisierung und Missverständnisse, keine Rücksichtnahme auf die extreme Umweltsensibilität sowie eine unzureichende Pflege führen zu großen Problemen. Daher sollten sich alle Behandler darüber im Klaren sein, dass eine Krankenhauseinweisung ein großes Risiko darstellt - und alles tun, um diese zu vermeiden. 

Um ME/CFSlern gerecht zu werden, sollten zudem in den Krankenhäusern folgende Maßnahmen ergriffen werden, um keinen Schaden anzurichten und eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation zu verhindern:

  1. Bilden Sie sich und Ihr Personal weiter!
    Bilden Sie professionelle Fachkräfte für ME/CFS, insbesondere die schwere Form der Erkrankung, und gemeinsame Begleiterkrankungen wie MCS und MCAS, SFN und Co. umfassend aus. Diskreditierte Behandlungen CBT und GET sind für schwere Patienten ungeeignet und können zu einer Verschlechterung führen.

  2. Hören Sie zu!
    Hören Sie Menschen mit ME und ihren Betreuern mit gelebtem Erfahrung im Symptommanagement zu. Entwickeln Sie personalisierte Pflegepläne mit den Familienmitgliedern, die ihr Wissen über die individuellen Bedürfnisse des Patienten respektieren. Ignorieren Sie nicht die Bitten, den Patienten vor PEM/ PENE zu schützen. Sprechen sie mit den zur Verfügung stehenden ME-Spezialisten und lassen sich beraten.

  3. Lassen Sie die private Betreuung! 
    Erlauben Sie einem Familienmitglied oder Betreuer, jederzeit zu bleiben, wenn er vom Patienten verlangt wird. Diese wissen aufgrund des Alltags sehr viel besser als Sie, was der Patient braucht.

  4. Sorgen Sie für die notwendige Erholung: 
    Ein ungestörter Schlaf ist lebenswichtig, um einen Rückgang zu verhindern. Respektieren Sie das Bedürfnis des Patienten nach einem strengen Rhythmus seiner Aktivitäten, um die Krankenhauseinweisung zu überleben und Adrenalinstöße zu verhindern. Beseitigen Sie alle nicht-essentiellen Interaktionen, bewegen Sie sich langsam und leise um den Patienten.

  5. Stellen Sie ein Umfeld mit geringem Stimulus:
    Geben Sie dem Patienten Einzelzimmer zuzuordnen, die schallisoliert und schwach beleuchtet sind. Minimieren Sie Duftstoffe, sensorische Überlastung und Körperkontakt. Achten Sie auf eine konstante Körpertemperatur und geregelte Pflegezeiten.

  6. Unterstützen Sie die Ernährungsversorgung:
    Erkennen Sie an, dass Menschen mit ME/CFS, MCAS und MCS unzählige Lebensmittelunverträglichkeiten haben können und zudem möglicherweise nicht genug Energie zum Verdauen haben. Sonderernährung, flexible Essenszeiten und angepasste Portionen sind unabdingbar. Initiieren Sie IV-Hydration, orale Ernährungsunterstützung, enterale Tube-Fütterung oder parenterale Ernährung, wo dies angemessen ist.

  7. Ermöglichen Sie das Medikamentenmanagement:
    Die meisten Menschen mit ME/CFS, MCAS und MCS leiden unter schweren Medikamentenunverträglichkeiten und -allergien. Achten Sie auf die Allergiepässe, Notfallverordnungen der Ärzte und sprechen Sie jegliche Medikation mit den Betroffenen bzw. ihren Angehörigen ab. Dies gilt v.a. für operative Eingriffe, für die besondere Vorsichtsmaßnahmen gelten. Meiden Sie Kontrastmittel beim Röntgen. Schleichen Sie die Medikamente einzeln und langsam auf niedrigster Dosierung ein, um Schäden zu vermeiden.

  8. Respektieren Sie notwendige Hilfsmittel:
    Menschen mit ME/CFS brauchen oft eine dunkle Brille, Kopfhörer oder Ohrstöpsel sowie Augenmasken, um sich von den schädigenden Umweltreizen abzuschirmen. Sie leiden in der Regel unter einer orthostatischen Intoleranz und sollten möglichst flach liegen. Eine Betroffene sind hypermobil und überempfindlich auf Berührung. Und bitte denken Sie daran, dass gerade bei Schwerst Betroffenen eine einfache Bewegung wochenlang Schmerzen verursachen kann.

  9. Sorgen Sie für gute Kommunikation:
    Es ist wichtig, eine klare und mitfühlende Kommunikation mit kognitiv beeinträchtigten Patienten und ihren Familien zu bieten und sie in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Wenn Patienten Gespräche vertragen, sprechen Sie langsam und leise; geben Sie ihnen zusätzliche Zeit, um Informationen zu verarbeiten.

  10. Glauben Sie den Betroffenen und ihren Angehörigen:
    ME/CFS ist eine schwere neuro-immunologische und damit somatische Erkrankung.
    Schwere bzw. schwerste ME/CFS hat eine viel geringere Lebensqualität als Krebs, Schlaganfall, MS und chronischer Nierenversagen. Die Patienten sollten daher mit Respekt behandelt werden, ihre physiologischen Erkrankungen erkannt und ihre Symptome adressiert werden. Bitte verdreifachen Sie nicht die Not durch Verachtung oder Stigmatisierung bzw. Medical Gaslighting. Das haben die meisten Betroffenen schon allzu oft erlebt


    Diese Ratschläge stammen von der Website https://worldmealliance.org/2024/08/safer-hospital-care-for-severe-me-severemeday-2024/


Dienstag, 23. Juli 2024

Low Dose Lithium


In einem klinischen Versuch wird in den USA zurzeit Lithium in niedriger Dosierung zur Behandlung von Long Covid getestet. Im Vorfeld konnten bereits einige Personen mit Low Dose Lithium erfolgreich behandelt werden.

Die Studie basiert auf der Hypothese, dass

a) Long Covid auf chronische Entzündungen zurückzuführen ist und

b) Lithium bekannte entzündungshemmende und neuroprotektive Wirkungen hat.[i]


In Deutschland ist der freie Medizinwissenschaftler Michael Nehls einer der großen Verfechter für eine grundsätzliche Low Dose Lithium-Therapie. U.a. begründet er die Notwendigkeit einer Lithiumgabe mit Mängeln innerhalb der Bevölkerung, die bisher jedoch kaum wahrgenommen werden. Auch er weist auf das Potenzial von Low Dose Lithium bei Long Covid und Co. hin und erläutert in einem Artikel und Videobeiträgen ausführlich die Vorgehensweise.[ii]

Sinnvoll ist auf jeden Fall, vor einer möglichen Einnahme das Lithium als Spurenelement messen zu lassen, wobei nur wenige Labore diese Messung beherrschen. Die übliche – für die Medikamentenspiegel-Analyse verwendete – Lithiummessung im Serum ist nämlich aufgrund ihrer geringen Sensitivität nicht geeignet. Das Labor IMD Berlin bietet daher z.B. eine Sondermessung an: Messung Lithium als Spurenelement

Sollten Ihre Lithiumspiegel im Blut (zu) niedrig an, bietet sich ein Versuch mit einer Dosis von 5 mg reinem Lithium (in Form von Lithium-Ororat) an, wobei sie dies auch langsam einschleichen können. Positiv ist, dass Sie mit den geringen Mengen kein Risiko eingehen – und der Test somit unbedenklich ist.

Aufgrund der Reinheitsfrage sollten Sie sich bei der Produktwahl jedoch ausschließlich an Apotheken wenden. Die Klösterl-Apotheke in München (https://www.kloesterl-shop.de/lithium-5-orotat-60st-80008004) wirbt u.a. dafür, dass sie Lithium-Ororat in individuellen Mischungen auf Rezept herstellt.


Mehr Informationen finden Sie u.a. hier:
https://michael-nehls.de/infos/lithium/



[i] https://www.buffalo.edu/news/releases/2023/01/002.html, zuletzt aufgerufen am 23.07.2024

[ii] https://michael-nehls.de/infos/lithium/, zuletzt aufgerufen am 23.07.2024

Donnerstag, 11. Juli 2024

Die Welt der "Wundermittel": Eine kritische Betrachtung


ME/CFS- und Long Covid-Betroffene probieren viele Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel sowie Methoden aus. Das ist völlig normal und verständlich bei einer Erkrankung, die von der Schulmedizin Jahrzehnte sträflich vernachlässigt wurde. Wir versuchen, uns selbst zu heilen bzw. die Symptome zu lindern, greifen nach jedem Strohhalm und sind dankbar für neue Impulse. Parallel werden von Behandlern Versuche mit unterschiedlichen Mitteln gestartet, um Linderung zu verschaffen. Das alles ist wichtig und richtig. Damit machen wir uns jedoch selbst zu Versuchskaninchen und sind anfällig für teils hochtrabende Versprechungen und Mode-Erscheinungen.

Dabei sind die sozialen Medien Fluch und Segen zugleich. Über Youtube, Whatsapp, Telegram und Co. werden Videos und Aussagen geteilt, in Gruppen werden bestimmte Mittel hochgelobt. Aber gleichzeitig werden in manchen Aussagen Einzelerfahrungen schnell verallgemeinert, Hypothesen und Meinungen werden zu Fakten, Versuche mit einzelnen Patienten werden zu Studien, Gesundheits-Coaches werden zu studierten Ärzten und  auf sogenannten Gesundheitskongressen wird immer mehr Produktwerbung betrieben. Darüber hinaus gibt genügend "Gurus" bzw. (selbst ernannte) Experten, die ihr ureigenes Produkt bzw. ihre Überzeugungen vorantreiben wollen.

Solange wir
- differenziert denken und gut recherchieren,
- die Vor- und Nachteile eines Produktes abwägen,
- gewisse Kontraindikationen ernst nehmen und
- notwendige Voruntersuchungen vor Einnahme mancher Mittel vornehmen,
ist das alles in Ordnung.

Sobald ein einfaches Nahrungsergänzungsmittel jedoch als DAS Wundermittel durch die Gruppen und soziale Medien geistert, sollte man vorsichtig sein.

Ich möchte einige Beispiele nennen, um zu sensibilisieren:

a) CleanSlate:

Den Hype um Clean Slate dürfte jeder mitbekommen habe, da das Channel System  dafür sorgte, dass genügend Betroffene für Clean Slate warben. Stutzig machte von Anfang an eine ungenaue Darstellung der Inhaltsstoffe, die völlig überzogenen Heilversprechen sowie der hohe Preis. Durch durchgeführte Analysen ist heute klar, dass in dem teuren Produkt in keinster Weise die Inhaltsstoffe enthalten sind, die aufgeführt werden - und dass damit die Wirkungsweise infrage gestellt werden muss.

Einige Landesgerichte haben infolgedessen die Werbung wegen Verbrauchertäuschung verboten
a) https://www.anwalt.de/rechtstipps/verbrauchertaeuschung-landgericht-verbietet-werbung-fuer-nem-produktserie-root-wellness-clean-slate-u-a-213184.html
b) https://www.anwalt.de/rechtstipps/taeuschung-ueber-inhaltsstoffe-und-wirkung-120-werbeaussagen-fuer-produktserie-root-wellness-clean-slate-verboten-214726.html

Trotzdem wird für das Produkt nach wie vor im Netz auch von Ärzten geworben und im Rahmen von Ausleitungsprotokollen erwähnt.

b) Chlordioxid:
Als Wundermittel gegen Corona und als Allheilmittel beworben, wird es heute noch oft in den sozialen Medien empfohlen - obwohl Todes- und Vergiftungsfälle bekannt wurden. Erschreckend ist, dass dieses Mittel nach wie vor auch bei kleinen Kindern und Tieren eingesetzt wird. Die Anhängerschaft ist jedoch groß.

Mehr zu dem Thema erfahren Sie unter folgendem Link: 
https://medwatch.de/thema/chlordioxid/

Dies sind sicherlich zwei gravierende Beispiele.

Des Weiteren gibt es jedoch recht viele Fehlinformationen und Versäumnisse, die ich allein in der letzten Woche wahrgenommen habe:

a) LDN

Ich bin sehr dankbar für dieses Medikament. Seine Bedeutung für ME/CFS- und chronische Schmerzpatienten ist unbestritten. Gleichzeitig sind Behauptungen von Probanden, die dem Medikament eine entgiftende und schlaffördernde Wirkung zuschreiben, schlichtweg falsch.

b) Low Dose Lithium

Es gibt inzwischen Versuche mit Low Dose Lithium bei Long Covid:
https://www.buffalo.edu/ubnow/stories/2023/01/lithium-long-covid.html
https://michael-nehls.de/infos/lithium/

Im Zusammenhang mit diesen Studien wird gern behauptet, dass in der Allgemeinbevölkerung ein Lithium-Mangel herrscht - und deswegen die Einnahme von Lithium in geringen Mengen so wichtig ist. Diese Behauptung ist jedoch bisher noch nicht belegt. Und daher sollte jeder, der sich mit der Einnahme beschäftigt, vorher seine eigenen Spiegel besser messen lassen. Dies ist u.a. über IMD Berlin möglich. Ich selbst z.B. habe völlig normale Lithiumspiegel.

c) Methylenblau

Auch Methylenblau, ein altes Malaria-Mittel, erfährt durch Covid und seine Folgen eine Renaissance in der alternativen Medizin. Vergessen wird jedoch selbst von manchen Behandlern, dass das Medikament NICHT mit Antidepressiva zusammen eingenommen werden darf, da die Gefahr eines lebensbedrohlichen Serotonin-Syndroms besteht. Andere Behandler wissen das zwar, gehen jedoch mit den Patienten nicht die Medikamentenliste durch. Darüber hinaus besteht  bei einem G6PD-Mangel eine klare Kontraindikation. Ein Gencheck muss daher vorher erfolgen. Trotzdem wird inzwischen von manchen Behandlern behauptet, dass der Genmangel kein Problem sei.

d) Melatonin

Das Schlafhormon ist inzwischen freiverkäuflich in den Apotheken und wird auch von der Allgemeinbevölkerung gern genutzt. Es hilft vielen Menschen und wird deswegen auch bei den hartnäckigen Schlafproblemen von ME/CFS-Patienten empfohlen. Erschreckend ist jedoch, wenn in Gruppen Dosierungen von über 20 mg und weit darüber hinaus empfohlen werden, weil das "... in den USA so gehandhabt wird". Interessanterweise hat sich in den USA die Zahl der Vergiftungen mit Melatonin zwischen 2012 und 2021 versechsfacht (Quelle: https://medwatch.de/weitere-artikel/schlafmittel-melatonin-eine-ueberdosis-hoffnung/). Gleichzeitig ist es kein Wundermittel. Es hilft es nicht allen Menschen - und wird deswegen von manchen Schlafmedizinern auch garnicht mehr empfohlen. Ich z.B. litt bei jedem Versuch unter heftigen Nebenwirkungen und konnte trotzdem nicht schlafen. Aussagen wie "Du musst dann nur noch höher dosieren" sind in so einem Fall einfach fehl am Platz.

All diese Beispiele sollen dafür sensibilisieren, gut zu recherchieren, die individuelle Situation ernst zu nehmen, im Zweifelsfall nochmals mit Behandlern Rücksprache zu halten und gleichzeitig seinem Körper zu vertrauen. Um die Versuche mit Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln kommen wir nicht herum. Aber wir sollten dabei achtsam bleiben und nicht alles glauben, was im Netz steht.




Sonntag, 7. Juli 2024

Urlaub mit ME/CFS und MCAS: Geht das gut?


Urlaub bietet für die meisten Menschen Erholung, Freizeit und Abenteuer. Für schwerkranke Menschen sind Ferien wiederum mit vielen Hürden verbunden, die es erst einmal zu überwinden gilt.

Reisen

Für Erkrankte, die sich mit ME/CFS und MCAS beschäftigen müssen, sieht das ein wenig anders aus. Viele, die sich auf einem niedrigen Bell-Grad befinden, können sich kaum mehr bewegen geschweige denn aus dem Haus gehen. Für diese ist nur noch Kopf-Urlaub in Erinnerungen, Imaginationen, Visualisierungen und über Bildbände/ Dokumentationen machbar.

Andere haben das große Glück, PartnerInnen an Ihrer Seite zu haben, die mit dem Wohnmobil oder dem VW-Bus durchs Land fahren. In einem solchen Fall können sich die Erkrankten während der Fahrt hinlegen, was die Strapazen stark mildert.

Und dann gibt es noch diejenigen, die wie ich ihre Urlaubsorte in einem Radius von ca. 300 km rund um den Wohnort auswählen. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass während der Fahrt kein Crash verursacht wird. Für MCAS-ler gibt es zudem den Tipp von Prof. Dr. Moldrings, sich alle 90 min von der Fahrbahn zu entfernen - und sich konsequent 20 bis 30 Minuten auf einer Decke still auf den Rücken zu legen, bevor es wieder weitergeht. Eine andere Möglichkeit wären die Reisen in Etappen - also öfters eine Übernachtung einplanen.

Flüge und Zugfahrten können wiederum stark strapazieren - v.a. aufgrund des Gewusels an Flughäfen und Bahnhöfen, den zu tragenden Koffern und den Reizen durch Duftstoffe, Geräusche und Co. Daher gilt für jeden immer wieder, genau zu überprüfen, was im Rahmen des Pacing zum aktuellen Zeitpunkt möglich ist.

Urlaubsorte
Aufgrund der Reizproblematik bieten sich natürlich reizarme Gegenden an. Also eher Land als Statt, eher besinnlich als Partyinsel.

Gepäck
Für viele Betroffene ist das Gepäck wesentlich schwerer geworden. Während früher ein kleiner Koffer ausreichte, nehmen heute zahlreiche Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel schon reichlich Platz ein. Im Inland ist das alles kein Problem. Im Ausland ist es gut möglich, dass man für einige Medikamente, die unter das Betäubungsgesetz fallen, vorher noch einige Bescheinigungen benötigt.

Siehe hierzu folgende Informationen:
Ich bin bei meiner Reise ins Ausland auf die Mitnahme von Medikamenten angewiesen. Muss ich besondere Zollvorschriften beachten?

Muster für eine mehrsprachige Bescheinigung für die Mitnahme von Betäubungsmitteln (für Reisen in Länder außerhalb der Vertragsstaaten des Schengener Abkommens)

Wenn dann noch aufgrund von MCAS und Salicylatintoleranz Lebensmittel eingepackt werden müssen, die nicht überall erhältlich sind, wird man zum Packesel. Denken Sie bei Zugfahrten und Co. daher daran, dass Sie das Gepäck auch vorschicken können, sodass Sie nur mit Handgepäck reisen müssen.

Wegen der Duftstoffe sind zudem einige Personen mit Salicylatintoleranz dazu übergegangen, ihre eigene Bettwäsche und Putzmittel mitzubringen. Idealerweise kann man jedoch auch vorab den Vermieter kontaktieren und diesem die duftstofffreien Putzmittel zusenden. Viele sind hier sehr hilfsbereit.

Notfallausweise und Co.
Sobald es ins Ausland geht, sollten diese natürlich auch zumindest ins Englische übersetzt und vom Arzt nochmals unterschrieben werden.

Pacing nicht vergessen

Bitte denken Sie daran, dass gerade an neuen Orten die Begeisterung unser Adrenalin anfachen und uns vorgaukeln kann, dass es uns besser geht. Es ist verständlich, so viel wie möglich erleben und den Urlaub genießen zu wollen. Gehen Sie jedoch nicht über Ihre Grenzen. Halten Sie Ihre Pacing-Regeln auch in den Ferien ein. Machen Sie weiterhin Ihre Übungen. Ansonsten wäre ein Crash nach dem Urlaub ein böses Mitbringsel, das niemand gebrauchen kann.





Mittwoch, 3. Juli 2024

Mein heutiges Leben


In den letzten Beiträgen habe ich über die Anfänge meiner ME/CFS und den langen, langen Weg bis zur Diagnose berichtet. Dieser Weg dauerte bei mir über 19 Jahre.

Hier können Sie meine Geschichte nachlesen:

1. Wie bei mir die ME/CFS anfing
2. Vor den Trümmern meiner Existenz
3. Die Suche nach Klarheit – eine Odyssee (2019 bis 2023)


Mein heutiges Leben

Nach all den Irrungen und Wirrungen bin ich seit einiger Zeit bei mir angekommen. Ich kenne die Gründe für meine langjährige Erschöpfung und die vielen anderen gesundheitlichen Probleme. Zudem habe ich gelernt, mich auf mein Körpergefühl, das sich allein durch die Körper- und Physiotherapie stark verbessert hat, zu verlassen. Und ich weiß in der Regel, wie ich bei Symptomen gegensteuern kann. Inzwischen würde ich mich wieder als moderat betroffen bezeichnen. Meist befinde ich mich bei einem Bell von 40 bis 60, wobei es mir im Sommer wesentlich besser geht. Im Winter braucht mein Körper wiederum sehr viel Energie, um mit der Kälte klarzukommen. Wie anstrengend das ist, merke ich jedes Jahr ab Januar/ Februar. In diesen Monaten bemerke ich meist einen Einbruch meiner körperlichen Kraft. Auch die Anfälligkeit für Viren und Co. steigt um ein Vielfaches.



mein alltag

Meine täglichen Spaziergänge mit unserer Hündin sind für mich das Highlight eines jeden Tages. In der Regel bin ich zweimal unterwegs. An guten Tagen bin ich jeweils eine Stunde unterwegs, an schlechteren 45 Minuten. Bei den Spaziergängen wechsele ich zwischen gemütlichem Tempo und Nordic Walking ab.

Darüber hinaus schaffe ich in der Regel einen Außentermin pro Tag, wobei ich jedoch darauf achte, dass ich in der Woche auch freie Tage habe. Diese Termine sind meist Arzt- oder Therapieterminen vorbehalten. Aber ich nehme mir auch Zeit für Freunde. Ideal ist dabei für mich, wenn ich die Treffen mit meinen Freunden mit einem gemeinsamen Spaziergang verbinden kann, der in der Regel in einem gemütlichen, nicht zu lauten Café endet.

Den Rest des Tages bin ich zuhause. Ich versuche grundsätzlich bis mindestens 9 Uhr zu schlafen, da ein früheres Aufstehen für meinen Körper sehr anstrengend ist. Gegen Mittag muss ich mich dann für zwei Stunden konsequent hinlegen, wobei ich an guten Tagen Rätsel löse oder lese. An schlechteren Tagen mache ich die Augen zu und mache Atem- oder gewisse Meditationsübungen. Oft schlafe ich auch ein wenig. 

In der restlichen Zeit mache ich ein wenig im Haushalt, erledige Organisatorisches, schreibe, male oder recherchiere. Zwischendurch achte ich darauf, dass ich Entspannungsübungen mache – und wenn es nur für fünf Minuten sind. Telefonate verschiebe ich grundsätzlich auf gute Tage, da sie mich sehr anstrengen. Abends koche ich mit meinem Mann zusammen. Wir haben für die gemeinsame Zeit und Gespräche dann meist zwei Stunden reserviert, die wir noch zusammen im Wohnzimmer essen und einen Film schauen. Danach ziehe ich mich zwischen 20 h und 21 h zurück, um meine täglichen Dehnungs- und einige wenige Muskelaufbau-Übungen zu machen. Gegen 22 bis 23 h gehe ich zu Bett.

Dank einer Hilfe, die einmal pro Woche für vier Stunden kommt, habe ich im Haushalt ein wenig Unterstützung. Mein Mann übernimmt die großen Einkäufe, während ich Kleinigkeiten besorge. Die Fahrten zu Ärzten und Therapien erledige ich zu 80 Prozent mit dem Taxi oder MOIA. Früher hatte ich deswegen ein sehr schlechtes Gewissen und dachte, ich sei zu bequem, den ÖPNV zu nutzen. Inzwischen weiß ich, dass diese Selbstfürsorgemaßnahmen mich schon seit Jahren vor größeren Crashs geschützt haben.  

An Wochenenden unternehmen mein Mann und ich mit unserer Hündin wiederum kleine Ausflüge ins Grüne. Manchmal besuchen wir auch eine Ausstellung oder gehen in die Bücherhallen. Klassische Konzerte waren früher noch gut machbar, sind jedoch seit der Salicylatintoleranz sehr schwierig geworden. In der Regel parfümieren sich v.a. die Besucherinnen so stark, dass es für mich selbst mit Maske manchmal unmöglich ist, im Raum zu bleiben. Trotzdem versuchen wir es immer wieder und haben uns inzwischen angewöhnt, Sitze am Rand zu reservieren – sodass ich den Düften nicht so sehr ausgesetzt bin. Alle Unternehmungen sollten jedoch nur maximal drei Stunden dauern. Mehr ist in der Regel nicht machbar, weil ansonsten ein Crash droht.

Popkonzerte wiederum sind aufgrund der Lautstärke und der Menschenmengen nicht mehr machbar. Auch Restaurantbesuche sind aufgrund der zahlreichen Unverträglichkeiten fast unmöglich geworden. Eine Ausnahme bilden Steakhäuser, da ich dort in der Regel ein frisch gebratenes Stück Fleisch sowie eine Backkartoffel bekomme.

Ansonsten ist meine Ernährung nach wie vor stark eingeschränkt. Im Vergleich zu anderen MCAS-Erkrankten, die gleichzeitig unter einer Salicylatintoleranz leiden, kann ich jedoch inzwischen wieder zwischen 20 bis 30 Lebensmitteln auswählen. Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Da ich sehr oft gefragt werde, was ich zu mir nehme, hier die Antwort: Ich esse nach wie vor rollierend und achte dadurch darauf, dass ich nicht ständig dieselben Lebensmittel zu mir nehme. Dabei ernähre ich mich hauptsächlich von frischem Biofleisch und histaminarmen Fischsorten, glutenfreien Porridges (mit Wasser angerührt), Lein- und Hanföl sowie Gemüse mit niedrigen Salicylatwerten. Hanf- und Reisprotein unterstützen meine Eiweißzufuhr. Manchmal gönne ich mir auch eine Portion Reis oder eine Backkartoffel. Obst esse ich zurzeit nur in homöopathischen Dosen (z.B. eine Heidelbeere als Dekoration). Auf Gluten muss ich leider nach wie vor verzichten, da es mein Leaky Gut wieder anfacht. Milchprodukte wiederum würde ich gern wieder einschleichen. Bisher ist dies jedoch sehr schwierig. Ziegen- und Schafsmilchprodukte sind noch am verträglichsten. Aber wahrscheinlich habe ich Probleme mit der Benzoesäure, die in vielen Milchprodukten enthalten ist. Zucker wiederum ist mehr oder weniger tabu, wobei ich mir inzwischen aber auch mal ein Stück Schokolade oder ein paar Gummibärchen gönnen kann. Auch Esskastanien vertrage ich gut. Bei Getränken bin ich nach wie vor sehr eingeschränkt: Sulfatarmes stilles Wasser und Roibuschtee sowie zwischendurch ein Schluck Wasserkefir – das ist alles, was mir noch möglich ist.

Medikamentös bin ich mit der MCAS-Basismedikation sowie mit LDN und einem Mittel zum Schlafen gut ausgestattet. Im Gegensatz zu früher benötige ich kaum mehr Schmerzmedikamente. Auch der Gebrauch von Muskelrelaxantien ist stark gesunken.

Darüber hinaus setze ich v.a. auf natürliche Hormone sowie die Mikronährstofftherapie. Da ich zudem die Verdauung sowie Entgiftung unterstütze und den Darm saniere, kommen damit jedoch täglich mehrere Kapseln zusammen, die ich zu schlucken habe. Die schiere Anzahl der Pillen erschreckt mich manchmal. Aber es gibt zumindest derzeitig keine Option, sie wegzulassen. Mein Körper braucht die Nährstoffe und Hormone, was sich durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen immer wieder beweisen lässt.

Bei allen Einschränkungen bin dankbar, dass so vieles wieder möglich ist, was 2019 so weit entfernt zu sein schien. Es ist ein kleines, feines Leben, das ich inzwischen führe – mit sehr viel Disziplin, aber auch mit vielen kleinen und großen Glücksmomenten.



was mir fehlt…

Aber mir fehlt sehr viel aus meinem früheren Leben: Zu gern würde ich z.B. wieder ins Schwimmbad gehen, wie früher, als ich noch meine Bahnen zog. Dies scheitert zurzeit jedoch zurzeit allein daran, dass meine Haut auf Chlorwasser allergisch reagiert.
Und ich wäre überglücklich, wenn ich einem Café einfach mal unbeschwert einen Tee trinken könnte, anstatt nur auf stilles Wasser zu setzen. Auch die Kurztrips übers Wochenende fehlen mir sehr, die wir früher regelmäßig unternahmen. Wir haben uns inzwischen angewöhnt, einige Male im Jahr ans Wasser zu fahren, wobei wir stark darauf achten, dass die Reisezeit weniger als drei Stunden per Auto beträgt. Diese Urlaube sind mir sehr viel wert. Früher sind wir jedoch sehr oft verreist, um unsere Freunde zu treffen und neue Orte kennenzulernen. Dies ist inzwischen in dem Umfang nicht mehr möglich.

Da wir viele Freunde haben, die nicht an unserem aktuellen Wohnort wohnen, bin ich darauf angewiesen, dass diese mich besuchen. Einige tun dies, wofür ich sehr dankbar bin. Aber andere habe ich seit Jahren nicht mehr getroffen. Zudem habe ich einen Großteil meiner Familie und meine Heimatstadt seit über 15 Jahren nicht mehr gesehen, weil ich am anderen Ende von Deutschland aufgewachsen bin. An Fernreisen ist sowieso nicht mehr zu denken. Hier stehen mir nicht nur die geringe körperliche Belastbarkeit, sondern vor allem meine zahlreichen Nahrungsmittelunverträglichkeiten im Weg. Auch wenn ich inzwischen wieder ca. 20 bis 30 Lebensmittel zur Verfügung habe, so wüsste ich nicht, wie ich mich anderswo ernähren könnte. Das Land Japan, das ich durch mein Studium kennen und lieben lernte, habe ich seit 2001 nicht mehr besucht. Dadurch sind mir die meisten japanischen Freunde weggebrochen. Wenn ich mir das vor Augen führe, wird mir klar, wie einschränkend und wie einschneidend diese Erkrankung ist.



hoffnung und realismus

Aber ich bin immer noch optimistisch und träume davon, dass ich noch weitere Fortschritte machen kann. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Da ich immer älter werde, muss ich damit rechnen, dass andere Erkrankungen hinzukommen und mir das Leben schwermachen werden. Zudem bin ich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen vor Crashs nicht gefeit. Während ich dieses Buch schreibe, erlitt ich z.B. einen Rückfall durch einen hartnäckigen Infekt. In der Zeit musste ich für eine Weile alle Außentermine absagen, um nicht noch tiefer zu rutschen und wieder Kräfte sammeln zu können.  

Auf die Forschung wiederum setze ich persönlich nicht mehr viel. Dafür bin ich zu lange erkrankt und auch schon zu alt. Trotzdem hoffe ich für andere und v.a. jüngere Betroffene, dass irgendwann wirksame und v.a. verträgliche Medikamente entwickelt werden. Angesichts der desolaten Versorgung der ME/CFS- und MCAS-Patienten sehe ich wiederum oft schwarz. Nach wie vor bemühe ich mich um Aufklärung und hatte in diesem Rahmen letztens auch wieder ein Interview mit einer Nachrichtenagentur. Aber mir wurde in den letzten zwei Jahren klar, wie langsam die Mühlen mahlen. Ich setze meine Hoffnung eher in die individuellen kleinen Schritte und die kleinen Erfolge, die ich zu verzeichnen habe. Und da es bei mir trotz all der Bemühungen nach wie vor Baustellen gibt, an denen ich weiterarbeiten muss, gibt es auch die Möglichkeit der weiteren Verbesserung. Denn auch wenn ich fast alle Nährstoffmängel beseitigt habe, so stehe ich z.B. aktuell mit dem Wirkstoff Q 10 oder auch mit meiner Jodversorgung noch auf Kriegsfuß. Genauso bleibt mein Mikrobiom eine Dauerbaustelle, auch wenn sich die Werte langsam, aber stetig über die Jahre erholen. Mir ist jedoch klar, dass die Darmsanierung ein Lebensprojekt darstellt, das vor allem ein Ziel hat: Schlimmeres verhindern und in Mini-Schritten vorwärtskommen. Genetisch bin ich in Hinblick auf Darmgesundheit katastrophal aufgestellt. In meiner Familie sind Morbus Crohn und Darmkrebs sowohl von väterlicher als auch von mütterlicher Seite sehr weit verbreitet, sodass ich froh sein muss, bisher noch nicht davon betroffen zu sein.



katastrophale medizinische versorgung

Angesichts der schlechten Versorgung von ME/CFS- und MCAS-Erkrankten in unserem Gesundheitssystem bin ich wiederum immer wieder aufs Neue fassungslos. Ich weiß, dass ich die starken Verbesserungen meines Gesundheitszustandes nur dank einiger Privatärzte erzielen konnte. Hätte ich vor einigen Jahren nicht ein kleines Erbe erhalten, hätte ich keine Möglichkeiten gehabt, diese zu bezahlen. Wäre ich in den letzten Jahren weiterhin auf das Kassensystem angewiesen gewesen, sähe das ganz anders aus. Auch heute erlebe ich trotz der klaren Diagnostik Unwissen und Gleichgültigkeit bei manchen Kassenmedizinern, was mich immer wieder erschreckt. In gewissen fachmedizinischen Bereichen wird es immer schwieriger, als komplex Erkrankte überhaupt einen Termin zu erhalten. So bin ich öfters als mir lieb ist gezwungen, auf die Expertise von Privatmedizinern zurückzugreifen. Natürlich gibt es Ausnahmen, für die ich enorm dankbar bin – allen voran mein Hausarzt, der mich nun schon seit zwanzig Jahren begleitet. Gleichzeitig habe ich große Angst vor dem Tag, an dem er in Rente geht – was unwiderruflich irgendwann der Fall sein wird.

Daher kann ich mit Hilfe dieses Buches nur wiederholt und inständig an die Politik plädieren, die notwendige Einrichtung von bundesweiten Anlaufstellen für ME/CFS und MCAS zu forcieren. Ich bitte die Ärzte in diesem Land, sich mit ME/CFS und MCAS auseinanderzusetzen und diese Erkrankungen bei unklaren Beschwerden in Betracht zu ziehen sowie die notwendige Diagnostik durchzuführen. Es gibt inzwischen Schulungen vonseiten der Charité[1], vom VAEM e.V. (Verein für Förderung der Allergie- und Endoskopie-Forschung am Menschen e.V.) und anderen Stellen, die auch online besucht werden können. Diese Bitte geht auch an Kranken- und Rentenversicherungen sowie Versorgungsämter. Es ist keine Option mehr, diese Erkrankungen zu leugnen und den Betroffenen notwendige Leistungen zu verweigern.

Und ich bitte v.a. die Hausärzte, komplex Erkrankte nicht im Stich zu lassen. Zu oft höre und lese ich, dass ME/CFS-Betroffenen von Hausärzten nicht mehr aufgenommen werden, da sie „zu komplex“ sind. Hilferufe von Schwersterkrankten gehen viral, weil sie die Unterstützung eines Hauarztes benötigen, der noch Hausbesuche macht. Mir ist bewusst, dass die Budgets und der Leistungsdruck in den Arztpraxen Deutschlands ein großes Problem sind. Aber wenn jeder Hausarzt ein bis zwei ME/CFS-Betroffene betreuen würde, dann wäre dies für alle Beteiligten machbar.  Das, was teilweise aktuell in Deutschland geschieht, grenzt an unterlassener Hilfeleistung.




[1] Sie finden die Online-Schulungen on Demand unter folgendem link: https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/informationen-fuer-aerztinnen-und-aerzte/on-demand-fortbildung/

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