In den letzten Beiträgen habe ich über die Anfänge meiner ME/CFS und den langen, langen Weg bis zur Diagnose berichtet. Dieser Weg dauerte bei mir über 19 Jahre.
Hier können Sie meine Geschichte nachlesen:
1. Wie bei mir die ME/CFS anfing
2. Vor den Trümmern meiner Existenz
3. Die Suche nach Klarheit – eine Odyssee (2019 bis 2023)
Mein heutiges Leben
Nach all den Irrungen und
Wirrungen bin ich seit einiger Zeit bei mir angekommen. Ich kenne die Gründe für meine
langjährige Erschöpfung und die vielen anderen gesundheitlichen Probleme. Zudem
habe ich gelernt, mich auf mein Körpergefühl, das sich allein durch die Körper-
und Physiotherapie stark verbessert hat, zu verlassen. Und ich weiß in der
Regel, wie ich bei Symptomen gegensteuern kann. Inzwischen würde ich mich
wieder als moderat betroffen bezeichnen. Meist befinde ich mich bei einem Bell
von 40 bis 60, wobei es mir im Sommer wesentlich besser geht. Im Winter braucht
mein Körper wiederum sehr viel Energie, um mit der Kälte klarzukommen. Wie
anstrengend das ist, merke ich jedes Jahr ab Januar/ Februar. In diesen Monaten
bemerke ich meist einen Einbruch meiner körperlichen Kraft. Auch die
Anfälligkeit für Viren und Co. steigt um ein Vielfaches.
Meine täglichen Spaziergänge mit
unserer Hündin sind für mich das Highlight eines jeden Tages. In der Regel bin
ich zweimal unterwegs. An guten Tagen bin ich jeweils eine Stunde unterwegs, an
schlechteren 45 Minuten. Bei den Spaziergängen wechsele ich zwischen
gemütlichem Tempo und Nordic Walking ab.
Darüber hinaus schaffe ich in der
Regel einen Außentermin pro Tag, wobei ich jedoch darauf achte, dass ich in der
Woche auch freie Tage habe. Diese Termine sind meist Arzt- oder Therapieterminen
vorbehalten. Aber ich nehme mir auch Zeit für Freunde. Ideal ist dabei für
mich, wenn ich die Treffen mit meinen Freunden mit einem gemeinsamen
Spaziergang verbinden kann, der in der Regel in einem gemütlichen, nicht zu
lauten Café endet.
Den Rest des Tages bin ich zuhause. Ich versuche grundsätzlich bis mindestens 9
Uhr zu schlafen, da ein früheres Aufstehen für meinen Körper sehr anstrengend
ist. Gegen Mittag muss ich mich dann für zwei Stunden konsequent hinlegen,
wobei ich an guten Tagen Rätsel löse oder lese. An schlechteren Tagen mache ich
die Augen zu und mache Atem- oder gewisse Meditationsübungen. Oft schlafe ich
auch ein wenig.
In der restlichen Zeit mache ich ein
wenig im Haushalt, erledige Organisatorisches, schreibe, male oder
recherchiere. Zwischendurch achte ich darauf, dass ich Entspannungsübungen
mache – und wenn es nur für fünf Minuten sind. Telefonate verschiebe ich
grundsätzlich auf gute Tage, da sie mich sehr anstrengen. Abends koche ich mit
meinem Mann zusammen. Wir haben für die gemeinsame Zeit und Gespräche dann
meist zwei Stunden reserviert, die wir noch zusammen im Wohnzimmer essen und
einen Film schauen. Danach ziehe ich mich zwischen 20 h und 21 h zurück, um
meine täglichen Dehnungs- und einige wenige Muskelaufbau-Übungen zu machen.
Gegen 22 bis 23 h gehe ich zu Bett.
Dank einer Hilfe, die einmal pro
Woche für vier Stunden kommt, habe ich im Haushalt ein wenig Unterstützung.
Mein Mann übernimmt die großen Einkäufe, während ich Kleinigkeiten besorge. Die
Fahrten zu Ärzten und Therapien erledige ich zu 80 Prozent mit dem Taxi oder
MOIA. Früher hatte ich deswegen ein sehr schlechtes Gewissen und dachte, ich
sei zu bequem, den ÖPNV zu nutzen. Inzwischen weiß ich, dass diese
Selbstfürsorgemaßnahmen mich schon seit Jahren vor größeren Crashs geschützt
haben.
An Wochenenden unternehmen mein Mann und ich mit unserer Hündin wiederum kleine
Ausflüge ins Grüne. Manchmal besuchen wir auch eine Ausstellung oder gehen in
die Bücherhallen. Klassische Konzerte waren früher noch gut machbar, sind
jedoch seit der Salicylatintoleranz sehr schwierig geworden. In der Regel
parfümieren sich v.a. die Besucherinnen so stark, dass es für mich selbst mit
Maske manchmal unmöglich ist, im Raum zu bleiben. Trotzdem versuchen wir es
immer wieder und haben uns inzwischen angewöhnt, Sitze am Rand zu reservieren –
sodass ich den Düften nicht so sehr ausgesetzt bin. Alle Unternehmungen sollten
jedoch nur maximal drei Stunden dauern. Mehr ist in der Regel nicht machbar,
weil ansonsten ein Crash droht.
Popkonzerte wiederum sind aufgrund der Lautstärke und der Menschenmengen nicht
mehr machbar. Auch Restaurantbesuche sind aufgrund der zahlreichen
Unverträglichkeiten fast unmöglich geworden. Eine Ausnahme bilden Steakhäuser,
da ich dort in der Regel ein frisch gebratenes Stück Fleisch sowie eine
Backkartoffel bekomme.
Ansonsten ist meine Ernährung nach wie vor
stark eingeschränkt. Im Vergleich zu anderen MCAS-Erkrankten, die gleichzeitig
unter einer Salicylatintoleranz leiden, kann ich jedoch inzwischen wieder
zwischen 20 bis 30 Lebensmitteln auswählen. Das ist auf jeden Fall ein
Fortschritt. Da ich sehr oft gefragt werde, was ich zu mir nehme, hier die
Antwort: Ich esse nach wie vor rollierend und achte dadurch darauf, dass ich
nicht ständig dieselben Lebensmittel zu mir nehme. Dabei ernähre ich mich
hauptsächlich von frischem Biofleisch und histaminarmen Fischsorten,
glutenfreien Porridges (mit Wasser angerührt), Lein- und Hanföl sowie Gemüse
mit niedrigen Salicylatwerten. Hanf- und Reisprotein unterstützen meine
Eiweißzufuhr. Manchmal gönne ich mir auch eine Portion Reis oder eine
Backkartoffel. Obst esse ich zurzeit nur in homöopathischen Dosen (z.B. eine
Heidelbeere als Dekoration). Auf Gluten muss ich leider nach wie vor
verzichten, da es mein Leaky Gut wieder anfacht. Milchprodukte wiederum würde
ich gern wieder einschleichen. Bisher ist dies jedoch sehr schwierig. Ziegen-
und Schafsmilchprodukte sind noch am verträglichsten. Aber wahrscheinlich habe
ich Probleme mit der Benzoesäure, die in vielen Milchprodukten enthalten ist.
Zucker wiederum ist mehr oder weniger tabu, wobei ich mir inzwischen aber auch
mal ein Stück Schokolade oder ein paar Gummibärchen gönnen kann. Auch
Esskastanien vertrage ich gut. Bei Getränken bin ich nach wie vor sehr
eingeschränkt: Sulfatarmes stilles Wasser und Roibuschtee sowie zwischendurch
ein Schluck Wasserkefir – das ist alles, was mir noch möglich ist.
Medikamentös bin ich mit der MCAS-Basismedikation sowie mit LDN und einem
Mittel zum Schlafen gut ausgestattet. Im Gegensatz zu früher benötige ich kaum
mehr Schmerzmedikamente. Auch der Gebrauch von Muskelrelaxantien ist stark
gesunken.
Darüber hinaus setze ich v.a. auf natürliche Hormone sowie die
Mikronährstofftherapie. Da ich zudem die Verdauung sowie Entgiftung unterstütze
und den Darm saniere, kommen damit jedoch täglich mehrere Kapseln zusammen, die
ich zu schlucken habe. Die schiere Anzahl der Pillen erschreckt mich manchmal. Aber
es gibt zumindest derzeitig keine Option, sie wegzulassen. Mein Körper braucht
die Nährstoffe und Hormone, was sich durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen
immer wieder beweisen lässt.
Bei allen Einschränkungen bin
dankbar, dass so vieles wieder möglich ist, was 2019 so weit entfernt zu sein
schien. Es ist ein kleines, feines Leben, das ich inzwischen führe – mit sehr
viel Disziplin, aber auch mit vielen kleinen und großen Glücksmomenten.
Aber mir fehlt sehr viel aus
meinem früheren Leben: Zu gern würde ich z.B. wieder ins Schwimmbad gehen, wie
früher, als ich noch meine Bahnen zog. Dies scheitert zurzeit jedoch zurzeit
allein daran, dass meine Haut auf Chlorwasser allergisch reagiert.
Und ich wäre überglücklich, wenn ich einem Café einfach mal unbeschwert einen
Tee trinken könnte, anstatt nur auf stilles Wasser zu setzen. Auch die
Kurztrips übers Wochenende fehlen mir sehr, die wir früher regelmäßig
unternahmen. Wir haben uns inzwischen angewöhnt, einige Male im Jahr ans Wasser
zu fahren, wobei wir stark darauf achten, dass die Reisezeit weniger als drei
Stunden per Auto beträgt. Diese Urlaube sind mir sehr viel wert. Früher sind
wir jedoch sehr oft verreist, um unsere Freunde zu treffen und neue Orte
kennenzulernen. Dies ist inzwischen in dem Umfang nicht mehr möglich.
Da wir viele Freunde haben, die
nicht an unserem aktuellen Wohnort wohnen, bin ich darauf angewiesen, dass
diese mich besuchen. Einige tun dies, wofür ich sehr dankbar bin. Aber andere
habe ich seit Jahren nicht mehr getroffen. Zudem habe ich einen Großteil meiner
Familie und meine Heimatstadt seit über 15 Jahren nicht mehr gesehen, weil ich
am anderen Ende von Deutschland aufgewachsen bin. An Fernreisen ist sowieso
nicht mehr zu denken. Hier stehen mir nicht nur die geringe körperliche
Belastbarkeit, sondern vor allem meine zahlreichen
Nahrungsmittelunverträglichkeiten im Weg. Auch wenn ich inzwischen wieder ca.
20 bis 30 Lebensmittel zur Verfügung habe, so wüsste ich nicht, wie ich mich
anderswo ernähren könnte. Das Land Japan, das ich durch mein Studium kennen und
lieben lernte, habe ich seit 2001 nicht mehr besucht. Dadurch sind mir die
meisten japanischen Freunde weggebrochen. Wenn ich mir das vor Augen führe,
wird mir klar, wie einschränkend und wie einschneidend diese Erkrankung ist.
Aber ich bin immer noch
optimistisch und träume davon, dass ich noch weitere Fortschritte machen kann. Gleichzeitig
ist mir bewusst, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Da ich immer älter
werde, muss ich damit rechnen, dass andere Erkrankungen hinzukommen und mir das
Leben schwermachen werden. Zudem bin ich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen vor
Crashs nicht gefeit. Während ich dieses Buch schreibe, erlitt ich z.B. einen
Rückfall durch einen hartnäckigen Infekt. In der Zeit musste ich für eine Weile
alle Außentermine absagen, um nicht noch tiefer zu rutschen und wieder Kräfte
sammeln zu können.
Auf die Forschung wiederum setze ich persönlich nicht mehr viel. Dafür
bin ich zu lange erkrankt und auch schon zu alt. Trotzdem hoffe ich für andere
und v.a. jüngere Betroffene, dass irgendwann wirksame und v.a. verträgliche Medikamente
entwickelt werden. Angesichts der desolaten Versorgung der ME/CFS- und
MCAS-Patienten sehe ich wiederum oft schwarz. Nach wie vor bemühe ich mich um
Aufklärung und hatte in diesem Rahmen letztens auch wieder ein Interview mit
einer Nachrichtenagentur. Aber mir wurde in den letzten zwei Jahren klar, wie
langsam die Mühlen mahlen. Ich setze meine Hoffnung eher in die individuellen
kleinen Schritte und die kleinen Erfolge, die ich zu verzeichnen habe. Und da
es bei mir trotz all der Bemühungen nach wie vor Baustellen gibt, an denen ich
weiterarbeiten muss, gibt es auch die Möglichkeit der weiteren Verbesserung. Denn
auch wenn ich fast alle Nährstoffmängel beseitigt habe, so stehe ich z.B. aktuell
mit dem Wirkstoff Q 10 oder auch mit meiner Jodversorgung noch auf Kriegsfuß.
Genauso bleibt mein Mikrobiom eine Dauerbaustelle, auch wenn sich die Werte
langsam, aber stetig über die Jahre erholen. Mir ist jedoch klar, dass die
Darmsanierung ein Lebensprojekt darstellt, das vor allem ein Ziel hat:
Schlimmeres verhindern und in Mini-Schritten vorwärtskommen. Genetisch bin ich
in Hinblick auf Darmgesundheit katastrophal aufgestellt. In meiner Familie sind
Morbus Crohn und Darmkrebs sowohl von väterlicher als auch von mütterlicher
Seite sehr weit verbreitet, sodass ich froh sein muss, bisher noch nicht davon
betroffen zu sein.
katastrophale medizinische versorgung
Angesichts der schlechten
Versorgung von ME/CFS- und MCAS-Erkrankten in unserem Gesundheitssystem bin ich
wiederum immer wieder aufs Neue fassungslos. Ich weiß, dass ich die starken
Verbesserungen meines Gesundheitszustandes nur dank einiger Privatärzte
erzielen konnte. Hätte ich vor einigen Jahren nicht ein kleines Erbe erhalten,
hätte ich keine Möglichkeiten gehabt, diese zu bezahlen. Wäre ich in den
letzten Jahren weiterhin auf das Kassensystem angewiesen gewesen, sähe das ganz
anders aus. Auch heute erlebe ich trotz der klaren Diagnostik Unwissen und
Gleichgültigkeit bei manchen Kassenmedizinern, was mich immer wieder
erschreckt. In gewissen fachmedizinischen Bereichen wird es immer schwieriger,
als komplex Erkrankte überhaupt einen Termin zu erhalten. So bin ich öfters als
mir lieb ist gezwungen, auf die Expertise von Privatmedizinern zurückzugreifen.
Natürlich gibt es Ausnahmen, für die ich enorm dankbar bin – allen voran mein
Hausarzt, der mich nun schon seit zwanzig Jahren begleitet. Gleichzeitig habe
ich große Angst vor dem Tag, an dem er in Rente geht – was unwiderruflich
irgendwann der Fall sein wird.
Daher kann ich mit Hilfe dieses Buches nur wiederholt und inständig an die
Politik plädieren, die notwendige Einrichtung von bundesweiten Anlaufstellen
für ME/CFS und MCAS zu forcieren. Ich bitte die Ärzte in diesem Land, sich mit
ME/CFS und MCAS auseinanderzusetzen und diese Erkrankungen bei unklaren
Beschwerden in Betracht zu ziehen sowie die notwendige Diagnostik
durchzuführen. Es gibt inzwischen Schulungen vonseiten der Charité,
vom VAEM e.V. (Verein für Förderung der Allergie- und Endoskopie-Forschung am
Menschen e.V.) und anderen Stellen, die auch online besucht werden können. Diese
Bitte geht auch an Kranken- und Rentenversicherungen sowie Versorgungsämter. Es
ist keine Option mehr, diese Erkrankungen zu leugnen und den Betroffenen
notwendige Leistungen zu verweigern.
Und ich bitte v.a. die Hausärzte,
komplex Erkrankte nicht im Stich zu lassen. Zu oft höre und lese ich, dass ME/CFS-Betroffenen
von Hausärzten nicht mehr aufgenommen werden, da sie „zu komplex“ sind.
Hilferufe von Schwersterkrankten gehen viral, weil sie die Unterstützung eines
Hauarztes benötigen, der noch Hausbesuche macht. Mir ist bewusst, dass die
Budgets und der Leistungsdruck in den Arztpraxen Deutschlands ein großes
Problem sind. Aber wenn jeder Hausarzt ein bis zwei ME/CFS-Betroffene betreuen
würde, dann wäre dies für alle Beteiligten machbar. Das, was teilweise aktuell in Deutschland
geschieht, grenzt an unterlassener Hilfeleistung.