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Dienstag, 6. August 2024

ME/CFS: Notwendige Maßnahmen bei Krankenhaus-Aufenthalten und auswärtigen Terminen


Krankenhausaufenthalte sind für ME/CFS-Betroffene eine schwere Belastung, die im Zweifelsfall eine enorme Verringerung ihrer Lebensqualität für Monate auslösen können. Leider wird immer wieder über schlechte Erfahrungen in Krankenhäusern berichtet. Stigmatisierung und Missverständnisse, keine Rücksichtnahme auf die extreme Umweltsensibilität sowie eine unzureichende Pflege führen zu großen Problemen. Daher sollten sich alle Behandler darüber im Klaren sein, dass eine Krankenhauseinweisung ein großes Risiko darstellt - und alles tun, um diese zu vermeiden. 

Um ME/CFSlern gerecht zu werden, sollten zudem in den Krankenhäusern folgende Maßnahmen ergriffen werden, um keinen Schaden anzurichten und eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation zu verhindern:

  1. Bilden Sie sich und Ihr Personal weiter!
    Bilden Sie professionelle Fachkräfte für ME/CFS, insbesondere die schwere Form der Erkrankung, und gemeinsame Begleiterkrankungen wie MCS und MCAS, SFN und Co. umfassend aus. Diskreditierte Behandlungen CBT und GET sind für schwere Patienten ungeeignet und können zu einer Verschlechterung führen.

  2. Hören Sie zu!
    Hören Sie Menschen mit ME und ihren Betreuern mit gelebtem Erfahrung im Symptommanagement zu. Entwickeln Sie personalisierte Pflegepläne mit den Familienmitgliedern, die ihr Wissen über die individuellen Bedürfnisse des Patienten respektieren. Ignorieren Sie nicht die Bitten, den Patienten vor PEM/ PENE zu schützen. Sprechen sie mit den zur Verfügung stehenden ME-Spezialisten und lassen sich beraten.

  3. Lassen Sie die private Betreuung! 
    Erlauben Sie einem Familienmitglied oder Betreuer, jederzeit zu bleiben, wenn er vom Patienten verlangt wird. Diese wissen aufgrund des Alltags sehr viel besser als Sie, was der Patient braucht.

  4. Sorgen Sie für die notwendige Erholung: 
    Ein ungestörter Schlaf ist lebenswichtig, um einen Rückgang zu verhindern. Respektieren Sie das Bedürfnis des Patienten nach einem strengen Rhythmus seiner Aktivitäten, um die Krankenhauseinweisung zu überleben und Adrenalinstöße zu verhindern. Beseitigen Sie alle nicht-essentiellen Interaktionen, bewegen Sie sich langsam und leise um den Patienten.

  5. Stellen Sie ein Umfeld mit geringem Stimulus:
    Geben Sie dem Patienten Einzelzimmer zuzuordnen, die schallisoliert und schwach beleuchtet sind. Minimieren Sie Duftstoffe, sensorische Überlastung und Körperkontakt. Achten Sie auf eine konstante Körpertemperatur und geregelte Pflegezeiten.

  6. Unterstützen Sie die Ernährungsversorgung:
    Erkennen Sie an, dass Menschen mit ME/CFS, MCAS und MCS unzählige Lebensmittelunverträglichkeiten haben können und zudem möglicherweise nicht genug Energie zum Verdauen haben. Sonderernährung, flexible Essenszeiten und angepasste Portionen sind unabdingbar. Initiieren Sie IV-Hydration, orale Ernährungsunterstützung, enterale Tube-Fütterung oder parenterale Ernährung, wo dies angemessen ist.

  7. Ermöglichen Sie das Medikamentenmanagement:
    Die meisten Menschen mit ME/CFS, MCAS und MCS leiden unter schweren Medikamentenunverträglichkeiten und -allergien. Achten Sie auf die Allergiepässe, Notfallverordnungen der Ärzte und sprechen Sie jegliche Medikation mit den Betroffenen bzw. ihren Angehörigen ab. Dies gilt v.a. für operative Eingriffe, für die besondere Vorsichtsmaßnahmen gelten. Meiden Sie Kontrastmittel beim Röntgen. Schleichen Sie die Medikamente einzeln und langsam auf niedrigster Dosierung ein, um Schäden zu vermeiden.

  8. Respektieren Sie notwendige Hilfsmittel:
    Menschen mit ME/CFS brauchen oft eine dunkle Brille, Kopfhörer oder Ohrstöpsel sowie Augenmasken, um sich von den schädigenden Umweltreizen abzuschirmen. Sie leiden in der Regel unter einer orthostatischen Intoleranz und sollten möglichst flach liegen. Eine Betroffene sind hypermobil und überempfindlich auf Berührung. Und bitte denken Sie daran, dass gerade bei Schwerst Betroffenen eine einfache Bewegung wochenlang Schmerzen verursachen kann.

  9. Sorgen Sie für gute Kommunikation:
    Es ist wichtig, eine klare und mitfühlende Kommunikation mit kognitiv beeinträchtigten Patienten und ihren Familien zu bieten und sie in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Wenn Patienten Gespräche vertragen, sprechen Sie langsam und leise; geben Sie ihnen zusätzliche Zeit, um Informationen zu verarbeiten.

  10. Glauben Sie den Betroffenen und ihren Angehörigen:
    ME/CFS ist eine schwere neuro-immunologische und damit somatische Erkrankung.
    Schwere bzw. schwerste ME/CFS hat eine viel geringere Lebensqualität als Krebs, Schlaganfall, MS und chronischer Nierenversagen. Die Patienten sollten daher mit Respekt behandelt werden, ihre physiologischen Erkrankungen erkannt und ihre Symptome adressiert werden. Bitte verdreifachen Sie nicht die Not durch Verachtung oder Stigmatisierung bzw. Medical Gaslighting. Das haben die meisten Betroffenen schon allzu oft erlebt


    Diese Ratschläge stammen von der Website https://worldmealliance.org/2024/08/safer-hospital-care-for-severe-me-severemeday-2024/


Mittwoch, 31. Juli 2024

Ketamin-Infusionen


In der Allgemeinbevölkerung ist Ketamin aufgrund der psychotropen Wirkung bekannt als Party-Droge, während das Mittel in der Medizin als Narkosemedikament bei Operationen v.a. bei Kindern sowie in der chirurgischen Ambulanz und im Rettungsdienst verwendet wird.  

Darüber hinaus wird Ketamin in geringerer Menge seit einiger Zeit zur Behandlung von behandlungsresistenten und schweren Depressionen[i] sowie von Schmerzen (u.a. postoperative Schmerzen, Neuropathie und Fibromyalgie)[ii] verwendet. Seit Neuestem bieten nun einige Behandler Ketamin-Infusionen auch bei ME/CFS und Long Covid an.[iii]

Von Selbstversuchen und Dauergebrauch rate ich aufgrund der starken Nebenwirkungen (Flashbacks, Halluzinationen, Dysphorien, Angst, Schlaflosigkeit und Desorientierung) sowie des hohen Suchtrisikos[iv] jedoch nachdrücklich ab.



[i] RME/ Ärzteblatt (2016): Wie Ketamin Depressionen behebt, auf: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/66592/Wie-Ketamin-Depressionen-behebt, zuletzt aufgerufen am 31.07.2024 sowie

[ii] Jaksch, Wolfgang, Likar, Rudolf, Aigner, Martin (2018): Ketamin: Einsatz bei chronischen Schmerzen und Depression, in der Weiner Medizinischen Wochenzeitschrift, auf https://link.springer.com/article/10.1007/s10354-019-0695-x, zuletzt aufgerufen am 31.07.2024

[iii] Akinosoglou, Karolina und andere (2021): Ketamine in COVID19 patients: Thinking out of the box, auf: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7753268/, zuletzt aufgerufen am 31.07.2024

[iv] Berman, Joel (2024): Süchtig nach Ketamin:Ein ziemlich neues Leben, auf: https://taz.de/Suechtig-nach-Ketamin/!5998069/, zuletzt aufgerufen am 31.07.2024

Die Stellatum-Blockade


Bei dieser Behandlung wird für eine kurze Zeit das Nervengeflecht im Bereich des unteren Halses (Ganglion stellatum) lokal betäubt. In der Regel wird dafür Procain verwendet, das sich aufgrund der kurzen Halbwertszeit dafür eignet. Bei anderen Mitteln wie Mepivacain ist die Halbwertzeit im Vergleich mehr als 3x so lang, was bei einer möglichen unerwünschten Reaktion nicht so leicht zu behandeln ist. Aber grundsätzlich sind auch diese einsetzbar.

Dadurch werden u.a. schmerzleitende Impulse unterbrochen. Auch der Halssympathicus wird für eine begrenzte Dauer ausgeschaltet.

Bis vor Kurzem war die Stellatum-Blockade v.a. in der Schmerztherapie bekannt und kam nur für Patienten mit einem komplexen regionale Schmerzsyndrom (CRPS), einem Raynaud-Syndrom, einer Trigeminusneuralgie oder einer Post-Zoster-Neuralgie in Frage. Inzwischen sprechen jedoch die ersten Studien und Versuche dafür, dass diese Blockade auch bei Long Covid und ME/CFS helfen kann.[i] Es wird davon ausgegangen, dass die kurzfristige Blockade des Sternganglions das lokale autonome Nervensystem zu einer Art „Neustart“ animiert, die wiederum mit einem Rückgang der Symptome verbunden ist.  

Angeboten wird diese Art der Therapie bisher von wenigen Schmerzmedizinern sowie Neurochirurgen und Neurologen. Aufgrund der Risiken sollten Sie sich an einen kundigen Mediziner wenden. Viele wenden zur Unterstützung zudem Ultraschall an, um die Spritze exakt justieren zu können. 

Weitere Informationen über diese Therapie finden Sie in den u.a. Quellen sowie unter folgendem link: Aus unserer Community: Die Ganglion Stellatum-Blockade

 



[i] Fischer, Lorenz; Barop, Hans, Ludin, Sabina Maria Ludin und Schaible, Hans-Georg (2021): Regulation of acute reflectory hyperinflammation in viral and other diseases by means of stellate ganglion block. A conceptual view with a focus on Covid-19, auf: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34894589/, zuletzt aufgerufen am 31.07.2024 sowie CW/ Ärzteblatt (2022): Stellatumblockade als neuer Ansatz bei Long COVID denkbar, auf https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/130981/Stellatumblockade-als-neuer-Ansatz-bei-Long-COVID-denkbar, zuletzt aufgerufen am 31.07.2024 sowie Liu, Luke D. Liu und Duricka, Deborah L.(2022): Stellate ganglion block reduces symptoms of Long COVID: A case series auf https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8653406/, zuletzt aufgerufen am 31.07.2024


Mittwoch, 3. Juli 2024

Mein heutiges Leben


In den letzten Beiträgen habe ich über die Anfänge meiner ME/CFS und den langen, langen Weg bis zur Diagnose berichtet. Dieser Weg dauerte bei mir über 19 Jahre.

Hier können Sie meine Geschichte nachlesen:

1. Wie bei mir die ME/CFS anfing
2. Vor den Trümmern meiner Existenz
3. Die Suche nach Klarheit – eine Odyssee (2019 bis 2023)


Mein heutiges Leben

Nach all den Irrungen und Wirrungen bin ich seit einiger Zeit bei mir angekommen. Ich kenne die Gründe für meine langjährige Erschöpfung und die vielen anderen gesundheitlichen Probleme. Zudem habe ich gelernt, mich auf mein Körpergefühl, das sich allein durch die Körper- und Physiotherapie stark verbessert hat, zu verlassen. Und ich weiß in der Regel, wie ich bei Symptomen gegensteuern kann. Inzwischen würde ich mich wieder als moderat betroffen bezeichnen. Meist befinde ich mich bei einem Bell von 40 bis 60, wobei es mir im Sommer wesentlich besser geht. Im Winter braucht mein Körper wiederum sehr viel Energie, um mit der Kälte klarzukommen. Wie anstrengend das ist, merke ich jedes Jahr ab Januar/ Februar. In diesen Monaten bemerke ich meist einen Einbruch meiner körperlichen Kraft. Auch die Anfälligkeit für Viren und Co. steigt um ein Vielfaches.



mein alltag

Meine täglichen Spaziergänge mit unserer Hündin sind für mich das Highlight eines jeden Tages. In der Regel bin ich zweimal unterwegs. An guten Tagen bin ich jeweils eine Stunde unterwegs, an schlechteren 45 Minuten. Bei den Spaziergängen wechsele ich zwischen gemütlichem Tempo und Nordic Walking ab.

Darüber hinaus schaffe ich in der Regel einen Außentermin pro Tag, wobei ich jedoch darauf achte, dass ich in der Woche auch freie Tage habe. Diese Termine sind meist Arzt- oder Therapieterminen vorbehalten. Aber ich nehme mir auch Zeit für Freunde. Ideal ist dabei für mich, wenn ich die Treffen mit meinen Freunden mit einem gemeinsamen Spaziergang verbinden kann, der in der Regel in einem gemütlichen, nicht zu lauten Café endet.

Den Rest des Tages bin ich zuhause. Ich versuche grundsätzlich bis mindestens 9 Uhr zu schlafen, da ein früheres Aufstehen für meinen Körper sehr anstrengend ist. Gegen Mittag muss ich mich dann für zwei Stunden konsequent hinlegen, wobei ich an guten Tagen Rätsel löse oder lese. An schlechteren Tagen mache ich die Augen zu und mache Atem- oder gewisse Meditationsübungen. Oft schlafe ich auch ein wenig. 

In der restlichen Zeit mache ich ein wenig im Haushalt, erledige Organisatorisches, schreibe, male oder recherchiere. Zwischendurch achte ich darauf, dass ich Entspannungsübungen mache – und wenn es nur für fünf Minuten sind. Telefonate verschiebe ich grundsätzlich auf gute Tage, da sie mich sehr anstrengen. Abends koche ich mit meinem Mann zusammen. Wir haben für die gemeinsame Zeit und Gespräche dann meist zwei Stunden reserviert, die wir noch zusammen im Wohnzimmer essen und einen Film schauen. Danach ziehe ich mich zwischen 20 h und 21 h zurück, um meine täglichen Dehnungs- und einige wenige Muskelaufbau-Übungen zu machen. Gegen 22 bis 23 h gehe ich zu Bett.

Dank einer Hilfe, die einmal pro Woche für vier Stunden kommt, habe ich im Haushalt ein wenig Unterstützung. Mein Mann übernimmt die großen Einkäufe, während ich Kleinigkeiten besorge. Die Fahrten zu Ärzten und Therapien erledige ich zu 80 Prozent mit dem Taxi oder MOIA. Früher hatte ich deswegen ein sehr schlechtes Gewissen und dachte, ich sei zu bequem, den ÖPNV zu nutzen. Inzwischen weiß ich, dass diese Selbstfürsorgemaßnahmen mich schon seit Jahren vor größeren Crashs geschützt haben.  

An Wochenenden unternehmen mein Mann und ich mit unserer Hündin wiederum kleine Ausflüge ins Grüne. Manchmal besuchen wir auch eine Ausstellung oder gehen in die Bücherhallen. Klassische Konzerte waren früher noch gut machbar, sind jedoch seit der Salicylatintoleranz sehr schwierig geworden. In der Regel parfümieren sich v.a. die Besucherinnen so stark, dass es für mich selbst mit Maske manchmal unmöglich ist, im Raum zu bleiben. Trotzdem versuchen wir es immer wieder und haben uns inzwischen angewöhnt, Sitze am Rand zu reservieren – sodass ich den Düften nicht so sehr ausgesetzt bin. Alle Unternehmungen sollten jedoch nur maximal drei Stunden dauern. Mehr ist in der Regel nicht machbar, weil ansonsten ein Crash droht.

Popkonzerte wiederum sind aufgrund der Lautstärke und der Menschenmengen nicht mehr machbar. Auch Restaurantbesuche sind aufgrund der zahlreichen Unverträglichkeiten fast unmöglich geworden. Eine Ausnahme bilden Steakhäuser, da ich dort in der Regel ein frisch gebratenes Stück Fleisch sowie eine Backkartoffel bekomme.

Ansonsten ist meine Ernährung nach wie vor stark eingeschränkt. Im Vergleich zu anderen MCAS-Erkrankten, die gleichzeitig unter einer Salicylatintoleranz leiden, kann ich jedoch inzwischen wieder zwischen 20 bis 30 Lebensmitteln auswählen. Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Da ich sehr oft gefragt werde, was ich zu mir nehme, hier die Antwort: Ich esse nach wie vor rollierend und achte dadurch darauf, dass ich nicht ständig dieselben Lebensmittel zu mir nehme. Dabei ernähre ich mich hauptsächlich von frischem Biofleisch und histaminarmen Fischsorten, glutenfreien Porridges (mit Wasser angerührt), Lein- und Hanföl sowie Gemüse mit niedrigen Salicylatwerten. Hanf- und Reisprotein unterstützen meine Eiweißzufuhr. Manchmal gönne ich mir auch eine Portion Reis oder eine Backkartoffel. Obst esse ich zurzeit nur in homöopathischen Dosen (z.B. eine Heidelbeere als Dekoration). Auf Gluten muss ich leider nach wie vor verzichten, da es mein Leaky Gut wieder anfacht. Milchprodukte wiederum würde ich gern wieder einschleichen. Bisher ist dies jedoch sehr schwierig. Ziegen- und Schafsmilchprodukte sind noch am verträglichsten. Aber wahrscheinlich habe ich Probleme mit der Benzoesäure, die in vielen Milchprodukten enthalten ist. Zucker wiederum ist mehr oder weniger tabu, wobei ich mir inzwischen aber auch mal ein Stück Schokolade oder ein paar Gummibärchen gönnen kann. Auch Esskastanien vertrage ich gut. Bei Getränken bin ich nach wie vor sehr eingeschränkt: Sulfatarmes stilles Wasser und Roibuschtee sowie zwischendurch ein Schluck Wasserkefir – das ist alles, was mir noch möglich ist.

Medikamentös bin ich mit der MCAS-Basismedikation sowie mit LDN und einem Mittel zum Schlafen gut ausgestattet. Im Gegensatz zu früher benötige ich kaum mehr Schmerzmedikamente. Auch der Gebrauch von Muskelrelaxantien ist stark gesunken.

Darüber hinaus setze ich v.a. auf natürliche Hormone sowie die Mikronährstofftherapie. Da ich zudem die Verdauung sowie Entgiftung unterstütze und den Darm saniere, kommen damit jedoch täglich mehrere Kapseln zusammen, die ich zu schlucken habe. Die schiere Anzahl der Pillen erschreckt mich manchmal. Aber es gibt zumindest derzeitig keine Option, sie wegzulassen. Mein Körper braucht die Nährstoffe und Hormone, was sich durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen immer wieder beweisen lässt.

Bei allen Einschränkungen bin dankbar, dass so vieles wieder möglich ist, was 2019 so weit entfernt zu sein schien. Es ist ein kleines, feines Leben, das ich inzwischen führe – mit sehr viel Disziplin, aber auch mit vielen kleinen und großen Glücksmomenten.



was mir fehlt…

Aber mir fehlt sehr viel aus meinem früheren Leben: Zu gern würde ich z.B. wieder ins Schwimmbad gehen, wie früher, als ich noch meine Bahnen zog. Dies scheitert zurzeit jedoch zurzeit allein daran, dass meine Haut auf Chlorwasser allergisch reagiert.
Und ich wäre überglücklich, wenn ich einem Café einfach mal unbeschwert einen Tee trinken könnte, anstatt nur auf stilles Wasser zu setzen. Auch die Kurztrips übers Wochenende fehlen mir sehr, die wir früher regelmäßig unternahmen. Wir haben uns inzwischen angewöhnt, einige Male im Jahr ans Wasser zu fahren, wobei wir stark darauf achten, dass die Reisezeit weniger als drei Stunden per Auto beträgt. Diese Urlaube sind mir sehr viel wert. Früher sind wir jedoch sehr oft verreist, um unsere Freunde zu treffen und neue Orte kennenzulernen. Dies ist inzwischen in dem Umfang nicht mehr möglich.

Da wir viele Freunde haben, die nicht an unserem aktuellen Wohnort wohnen, bin ich darauf angewiesen, dass diese mich besuchen. Einige tun dies, wofür ich sehr dankbar bin. Aber andere habe ich seit Jahren nicht mehr getroffen. Zudem habe ich einen Großteil meiner Familie und meine Heimatstadt seit über 15 Jahren nicht mehr gesehen, weil ich am anderen Ende von Deutschland aufgewachsen bin. An Fernreisen ist sowieso nicht mehr zu denken. Hier stehen mir nicht nur die geringe körperliche Belastbarkeit, sondern vor allem meine zahlreichen Nahrungsmittelunverträglichkeiten im Weg. Auch wenn ich inzwischen wieder ca. 20 bis 30 Lebensmittel zur Verfügung habe, so wüsste ich nicht, wie ich mich anderswo ernähren könnte. Das Land Japan, das ich durch mein Studium kennen und lieben lernte, habe ich seit 2001 nicht mehr besucht. Dadurch sind mir die meisten japanischen Freunde weggebrochen. Wenn ich mir das vor Augen führe, wird mir klar, wie einschränkend und wie einschneidend diese Erkrankung ist.



hoffnung und realismus

Aber ich bin immer noch optimistisch und träume davon, dass ich noch weitere Fortschritte machen kann. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Da ich immer älter werde, muss ich damit rechnen, dass andere Erkrankungen hinzukommen und mir das Leben schwermachen werden. Zudem bin ich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen vor Crashs nicht gefeit. Während ich dieses Buch schreibe, erlitt ich z.B. einen Rückfall durch einen hartnäckigen Infekt. In der Zeit musste ich für eine Weile alle Außentermine absagen, um nicht noch tiefer zu rutschen und wieder Kräfte sammeln zu können.  

Auf die Forschung wiederum setze ich persönlich nicht mehr viel. Dafür bin ich zu lange erkrankt und auch schon zu alt. Trotzdem hoffe ich für andere und v.a. jüngere Betroffene, dass irgendwann wirksame und v.a. verträgliche Medikamente entwickelt werden. Angesichts der desolaten Versorgung der ME/CFS- und MCAS-Patienten sehe ich wiederum oft schwarz. Nach wie vor bemühe ich mich um Aufklärung und hatte in diesem Rahmen letztens auch wieder ein Interview mit einer Nachrichtenagentur. Aber mir wurde in den letzten zwei Jahren klar, wie langsam die Mühlen mahlen. Ich setze meine Hoffnung eher in die individuellen kleinen Schritte und die kleinen Erfolge, die ich zu verzeichnen habe. Und da es bei mir trotz all der Bemühungen nach wie vor Baustellen gibt, an denen ich weiterarbeiten muss, gibt es auch die Möglichkeit der weiteren Verbesserung. Denn auch wenn ich fast alle Nährstoffmängel beseitigt habe, so stehe ich z.B. aktuell mit dem Wirkstoff Q 10 oder auch mit meiner Jodversorgung noch auf Kriegsfuß. Genauso bleibt mein Mikrobiom eine Dauerbaustelle, auch wenn sich die Werte langsam, aber stetig über die Jahre erholen. Mir ist jedoch klar, dass die Darmsanierung ein Lebensprojekt darstellt, das vor allem ein Ziel hat: Schlimmeres verhindern und in Mini-Schritten vorwärtskommen. Genetisch bin ich in Hinblick auf Darmgesundheit katastrophal aufgestellt. In meiner Familie sind Morbus Crohn und Darmkrebs sowohl von väterlicher als auch von mütterlicher Seite sehr weit verbreitet, sodass ich froh sein muss, bisher noch nicht davon betroffen zu sein.



katastrophale medizinische versorgung

Angesichts der schlechten Versorgung von ME/CFS- und MCAS-Erkrankten in unserem Gesundheitssystem bin ich wiederum immer wieder aufs Neue fassungslos. Ich weiß, dass ich die starken Verbesserungen meines Gesundheitszustandes nur dank einiger Privatärzte erzielen konnte. Hätte ich vor einigen Jahren nicht ein kleines Erbe erhalten, hätte ich keine Möglichkeiten gehabt, diese zu bezahlen. Wäre ich in den letzten Jahren weiterhin auf das Kassensystem angewiesen gewesen, sähe das ganz anders aus. Auch heute erlebe ich trotz der klaren Diagnostik Unwissen und Gleichgültigkeit bei manchen Kassenmedizinern, was mich immer wieder erschreckt. In gewissen fachmedizinischen Bereichen wird es immer schwieriger, als komplex Erkrankte überhaupt einen Termin zu erhalten. So bin ich öfters als mir lieb ist gezwungen, auf die Expertise von Privatmedizinern zurückzugreifen. Natürlich gibt es Ausnahmen, für die ich enorm dankbar bin – allen voran mein Hausarzt, der mich nun schon seit zwanzig Jahren begleitet. Gleichzeitig habe ich große Angst vor dem Tag, an dem er in Rente geht – was unwiderruflich irgendwann der Fall sein wird.

Daher kann ich mit Hilfe dieses Buches nur wiederholt und inständig an die Politik plädieren, die notwendige Einrichtung von bundesweiten Anlaufstellen für ME/CFS und MCAS zu forcieren. Ich bitte die Ärzte in diesem Land, sich mit ME/CFS und MCAS auseinanderzusetzen und diese Erkrankungen bei unklaren Beschwerden in Betracht zu ziehen sowie die notwendige Diagnostik durchzuführen. Es gibt inzwischen Schulungen vonseiten der Charité[1], vom VAEM e.V. (Verein für Förderung der Allergie- und Endoskopie-Forschung am Menschen e.V.) und anderen Stellen, die auch online besucht werden können. Diese Bitte geht auch an Kranken- und Rentenversicherungen sowie Versorgungsämter. Es ist keine Option mehr, diese Erkrankungen zu leugnen und den Betroffenen notwendige Leistungen zu verweigern.

Und ich bitte v.a. die Hausärzte, komplex Erkrankte nicht im Stich zu lassen. Zu oft höre und lese ich, dass ME/CFS-Betroffenen von Hausärzten nicht mehr aufgenommen werden, da sie „zu komplex“ sind. Hilferufe von Schwersterkrankten gehen viral, weil sie die Unterstützung eines Hauarztes benötigen, der noch Hausbesuche macht. Mir ist bewusst, dass die Budgets und der Leistungsdruck in den Arztpraxen Deutschlands ein großes Problem sind. Aber wenn jeder Hausarzt ein bis zwei ME/CFS-Betroffene betreuen würde, dann wäre dies für alle Beteiligten machbar.  Das, was teilweise aktuell in Deutschland geschieht, grenzt an unterlassener Hilfeleistung.




[1] Sie finden die Online-Schulungen on Demand unter folgendem link: https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/informationen-fuer-aerztinnen-und-aerzte/on-demand-fortbildung/

Die Suche nach Klarheit – eine Odyssee (2019 bis 2023)

 


Bereits in vorherigen Beiträgen habe ich von den Anfängen meiner ME/CFS sowie den ersten Rentenjahren erzählt:

1. Wie bei mir die ME/CFS anfing
2. Vor den Trümmern meiner Existenz

Der zweite Beitrag endet mit einem Crash und einer stationären Schmerztherapie, in der die Ärzte wieder einmal alle Symptome auf die Psyche schoben. Damals wurde mir verboten, zu weiteren Ärzten zu gehen - was mich selbstverständlich stark verunsicherte.

Zum Glück hatte ich jedoch bereits vor dem Aufenthalt noch einen Termin bei einem Neurochirurgen vereinbart, den ich noch einhalten wollte. Dieser stellte eine eindeutige starke Reizung der inguinalen Nerven an, die darauf zurückzuführen war, dass in der Lendenwirbelsäule gewisse Nerven eingeengt waren. Daher schlug er mir eine PRT-Therapie vor und riet mir gleichzeitig zu einer längeren Physiotherapie.


physiotherapie und pacing

Diese Physiotherapie war meine Rettung. Meine Physiotherapeutin zeigte mir Übungen, um die neuropathische Reizung zu lindern. Gleichzeitig wurde u.a. festgestellt, dass meine Muskeln auf der rechten Seite in hohem Maße verspannt waren. Während diese Verspannungen schrittweise behandelt wurden, vereinbarten wir klare Grenzen beim Sitzen, Stehen und Gehen, die ich nicht überschreiten durfte. Zum ersten Mal in meinem Leben arbeitete ich mit einem Schrittzähler. Es fiel mir sehr schwer, die Grenzen einzuhalten, da ich mich mit meiner alten Hündin und Gehstützen maximal bis zum nächsten Kiosk schleppen konnte. Dort trank ich einen Kaffee, um dann langsam wieder nach Hause zu gehen, wo ich vor allen Dingen viel lag. Nur in kleinen Schritten konnte ich meine Beweglichkeit verbessern, was für mich v.a. emotional sehr schwierig war. Auch für das Sitzen hatten wir zeitliche Grenzen ausgehandelt. Im Nachhinein rutschte ich in eine handfeste Depression, da ich kaum mehr rauskam und zu Hause die Wände anstarrte.



ein neuer psychiater

Genau zu der Zeit musste ich mir dann auch noch einen neuen Psychiater suchen, da meine frühere Psychiaterin in Rente gegangen war. Ich hatte jedoch Glück im Unglück. Im Gegensatz zu der früheren Behandlerin, die mir bei jedem Besuch dieselben Fragen stellte, in Hinblick auf Traumafolgestörungen jedoch wenig Ahnung hatte, fand ich einen Psychiater, der zuhörte und sich v.a. merkte, was man erzählte. So entstand sehr schnell eine vertrauensvolle Patienten-Arzt-Beziehung. Er war in der Tat der erste Arzt, der von sich aus die Möglichkeit ansprach, dass ich an ME/CFS erkrankt bin. Darüber hinaus zeigte er mir später deutlich auf, dass die Antidepressiva, die ich schon seit 18 Jahren verschrieben bekam, in seinen Augen für mich eher hinderlich waren. Sie haben meinen Antrieb, der grundsätzlich hoch ist, noch gesteigert und mich so bei den Pacing-Versuchen, die mir sowieso schon schwerfielen, gehindert. Für mich war das eine völlig neue Erkenntnis. Ich entschied dann mich mit ihm zusammen, das Antidepressivum langsam auszuschleichen. Wer sich einmal mit dem Thema beschäftigt hat, weiß, wie schwierig das nach so langem Gebrauch werden kann. Letztlich brauchte ich dafür ein ganzes Jahr, wobei die letzten 5 mg am schwersten waren. Aber ich habe es geschafft. Bemerkenswert ist, dass ich nach dem Ausschleichen der Antidepressiva nie mehr einen Krampfanfall hatte. Damit war im Nachhinein klar, dass die Krampfanfälle u.a. auf eine Nebenwirkung der Antidepressiva zurückzuführen waren. Mich machte diese Erkenntnis fassungslos. 18 Jahre lang litt ich fast täglich unter diesen zermürbenden, schmerzhaften und behinderten Krampfanfällen – nur weil ich das falsche Medikament verschrieben bekam, dessen Dosierung aufgrund der Krampfanfälle auch noch verdoppelt wurde. Diese Erfahrung zeigte mir jedoch auch auf, dass ich in der Vergangenheit den Ärzten zu viel vertraut hatte. Ich nahm mir vor, ab sofort jegliche Medikation kritisch zu hinterfragen und mich selbst eingehender damit zu beschäftigen.



ergo- und körpertherapie

Parallel machte ich weiterhin Verhaltenstherapie. Aber die Verhaltenstherapeutin war mir keine große Hilfe. Sie konnte auch absolut nicht verstehen, warum mich der Aufenthalt während der stationären Schmerztherapie traumatisiert hatte. Im Gegenteil vertrat sie die Meinung der dortigen Ärzte und wies mich immer wieder darauf hin, dass alles psychosomatisch sein müsse. Ich selbst kannte mich jedoch gut genug, um zu wissen, dass dies nicht stimmte. Bei aller Selbstkritik war ich überzeugt, dass meine Probleme körperlicher Natur waren. Auch meine frühere Traumatherapeutin war dieser Meinung. Sie hatte sich inzwischen jedoch beruflich anderweitig orientiert. Eine neue Traumatherapeutin war auf die Schnelle schwer zu finden. Aber ich bekam einen Platz in einer traumatherapeutisch orientierten Ergotherapie, in der ich um einiges besser klarkam. Ich malte viel, um mit meinen Gefühlen klarzukommen und wehrte mich. U.a. schrieb ich an die Patientenbeschwerdestelle im Krankenhaus, was jedoch nur eine lapidare, beschönigende Antwort nach sich zog. Aber für meinen Gefühlshaushalt war es enorm wichtig gewesen, nochmals klarzustellen, was alles schiefgelaufen war. Da ungefähr zu selben Zeit unsere zweite Hündin nach schwerer Erkrankung starb, hatte ich einen großen Verlust zu beklagen. Gleichzeitig konnte ich mich nun jedoch voll auf meine Gesundheit konzentrieren. Meine Physiotherapeutin stellte in dem Zuge fest, wie stark mein autonomes Nervensystem angegriffen ist. Sie brachte mir Nervus Vagus-Übungen bei und vermittelte mich an einen Osteopathen, der wiederum meine instabile Halswirbelsäule achtsam und sanft bearbeitete. Ungefähr zur selben Zeit entschied ich mich dann auch, die Verhaltenstherapie abzubrechen. Durch die Ergotherapeutin, die sehr viel zugewandter und verständnisvoller war, wurde mir klar, dass ich mich auch in der Psychotherapie umorientieren muss. Daher ging ich auf die Suche, machte einige probatorische Sitzungen und entschied mich letztlich für eine Körper- und Traumatherapeutin, um an meiner Krankheitsbewältigung und an meinem autonomen Nervensystem zu arbeiten. Dieser Schritt war enorm wichtig für die weitere Genesung. Dank der neuen Therapeutin kam ich endlich weiter. Vor allem lernte ich, mir noch mehr zu vertrauen, meine Körpersignale noch ernster zu nehmen und klare Grenzen zu setzen.



schmerzlinderung

In kleinen Schritten ging es voran. Langsam baute ich auch einzelne Dehnungsübungen ein, die ich im Liegen durchführte. Dank einer PRT-Therapie wurden die Leistenschmerzen geringer. In dem Zuge konnte ich das Gabapentin verringern. Darüber hinaus entdeckte ich, dass v.a. grobe Hosenstoffe die Nervenschmerzen verschlimmerten. Ich besorgte mir einige Viskose-Hosen, die eine Wohltat waren. Von Jeans und Baumwollhosen musste ich mich jedoch auf Dauer trennen.

Darüber konnte ich mich nach langer Wartezeit an eine Schmerzmedizinerin wenden, die durch Akupunktur weitere Schmerzlinderung erzielte. Sie war auch die erste Person, die mir anhand eines Unverträglichkeitstests aufzeigte, dass mein Verdauungssystem völlig kaputt ist. Die Probiotika, die sie mir empfahl, führten bei mir jedoch zu heftigen Symptomen. Mir ging es wieder schlechter. Dabei fiel mir auf, dass viele Lebensmittel und Gerichte, die ich früher gern aß, plötzlich alle wie Seife schmeckten. Obwohl ich wegen meiner schon länger diagnostizierten Laktose- und Fructose-Intoleranz bereits eine gewisse Karenz einhielt, vertrug ich immer weniger. Darüber hinaus hatte ich nach dem Essen zunehmend starke Hitzewallungen, die ich anfangs jedoch auf die Wechseljahre schob. Aber mir wurde dadurch klar, dass ich weitere körperliche Probleme habe, die ich angehen muss.

Eine TCM-Therapeutin, die mit Lifewave-Pflaster therapierte, half mir diesbezüglich nur bedingt weiter. Aber mit Hilfe der Lifewave-Pflaster erkannte ich, wie gut ich gehen konnte, wenn ich nur genügend Energie hatte. Es war für mich ein großes Aha-Erlebnis, als ich mit den Energy-Pflastern die Gehstöcke quasi wegwerfen konnte. Plötzlich wurde mir klar, was mit mir los ist: Mir fehlte einfach „nur“ die körperliche Energie, um mich aufrecht zu halten. Daher wandte ich mich an eine Privatärztin für Stoffwechselstörungen, die mir empfohlen wurde. Diese legte mir erschütternde Resultate ihrer Messungen vor, versicherte mir jedoch gleichzeitig, dass meinen Mitochondrien nur Fett fehlt – und dass es mir dann bald besser gehen würde. Wie gern hätte ich das geglaubt. Aber ich stellte sehr schnell fest, dass dies nicht der Wahrheit entsprach.



erste schritte in der integrativen medizin

Daher suchte ich weiter und wandte mich Anfang 2020 an einen Privatarzt für integrative Medizin, der mich heute noch unterstützt. Als ich endlich einen Termin bei ihm bekam, ging ich immerhin schon an Nordic Walking-Stöcken und konnte wieder 8000 Schritte am Tag gehen. Auch die täglichen Dehnungsübungen hatte ich etwas ausgebaut. Die Gehstützen waren Vergangenheit.

Gemeinsam mit diesem Arzt machte ich mich dann auf die Suche nach den Ursachen für meine körperliche Schwäche. Dafür musste ich einige Tests machen. Der HPU-Test war genauso positiv wie ein Atemtest auf Dünndarmfehlbesiedlung. Die Blutwerte zeigten u.a. erschreckende Nährstoffmängel, eine Mitochondriopathie, hohe Histaminpegel, eine Nebennierenerschöpfung und ein Leaky Gut.

Der erste Behandlungsplan sah dann folgendermaßen aus:  

1.      Auffüllung der Mikronährstoffe, wobei ich diese langsam einzeln einschleichen musste,

2.      Verzicht auf Gluten, Zucker sowie Milchprodukte und viele andere unverträgliche Lebensmittel sowie Fructose und Histamin,

3.      Verbesserung der Verdauung durch Betain HCL,

4.      Rifaximin-Therapie wegen der Dünndarmfehlbesiedlung,

5.      Vitamin D-Hochdosis-Protokoll,

6.      Natürliche Schilddrüsenhormone statt L-Thyroxin,

7.      Verschreibung von LDN (anfangs wegen der Fibromyalgie und als Prokinetikum),

8.      Atemübungen, Wechselduschen, Bewegung etc.

Zu diesem Zeitpunkt fing ich an, in bestimmten Facebook-Gruppen Unterstützung zu suchen, da ich mit all den Gesundheitsthemen überfordert war. Die Therapien beanspruchten meinen Alltag zusehends. Alles war Neuland für mich. Leider schwächten mich die Rifaximin-Therapie und der Kohlenhydratverzicht zudem stark. Ich nahm einige Kilogramm ab, obwohl ich sowieso schon sehr schlank war. Aber ich hielt es durch. Danach hatte ich die Dünndarmfehlbesiedlung besiegt. Mein Mikrobiom glich jedoch einem Schlachtfeld, und meine exokrine Pankreaselastase hatte den Geist aufgegeben. Ab sofort musste ich zu jeder Mahlzeit zusätzlich zu dem Betain HCL Pankreasenzyme einnehmen, damit mein Körper die Nahrung überhaupt richtig verdauen konnte.

 All das war eine Sache von Monaten, in denen ich meine Schrittzahl und meine Spaziergänge langsam ausbauen konnte. Ich ging zwar noch an Nordic Walking-Stöcken, aber es war befreiend, wieder in die Natur gehen und fotografieren zu können. Auch konnte ich wieder länger sitzen sowie mich besser konzentrieren. Gleichzeitig baute ich in meine täglichen Übungen einige leichte Muskelaufbauübungen ein, die ich vor allem im Liegen durchführte.

 Diese Verbesserungen führten dazu, dass wir uns ernsthaft über einen neuen Hund Gedanken machten. Ich hatte zwar sehr viel Respekt vor einer neuen Herausforderung, da ich noch keine weiten Strecken gehen konnte. Aber da mein Mann durch Corona von zuhause arbeitete, hatte ich Unterstützung. Gesagt, getan. Im Herbst 2020 zog eine neue Hündin ein, mit der ich langsam neue Wege ging.



hormongesundheit

Ungefähr zu dieser Zeit ließ ich nochmals bei einer Endokrinologin meine Hormonwerte testen und die Schilddrüse schallen. Zum Glück hatte ich trotz der langjährigen Schilddrüsenunterfunktion noch keine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse entwickelt, sodass ich hier beruhigt sein konnte. In Hinblick auf meine Sexualhormone sah es jedoch trostlos aus: Progesteron und Estradiol waren im absoluten Minus, was jedoch kein Wunder war. Durch die Entfernung des rechten Eileiters Anfang 2019 blieb meine Regel schlagartig aus. Ich rutschte von jetzt auf gleich in die Postmenopause. Aber auch Testosteron war kaum mehr vorhanden, was auf meinen starken Muskelverlust durch die Gehunfähigkeit zurückzuführen war. Kein Wunder, dass bei einer Osteoporose-Messung alarmierende Werte zum Vorschein kamen. Daher versuchte ich es mit einer Hormonersatztherapie. Aus dem Grund wurden von einer speziellen Apotheke Hormoncremes zur äußerlichen Anwendung angefertigt. Leider stiegen meine Werte dadurch nicht wirklich an. Daher probierte ich später zusammen mit meinem ganzheitlichen Arzt die Rimkus-Therapie aus. Diese musste ich jedoch nach einem halben Jahr aufgrund starker Hautekzeme abbrechen, um wieder auf die äußerliche Anwendung umzusteigen.




mcas und salicylatintoleranz

Aufgrund meiner vielfachen Unverträglichkeiten brachte mein integrativer Arzt 2021 zum ersten Mal das Thema „MCAS“ ins Spiel. Er selbst kannte sich mit der Diagnostik zwar nicht gut aus, war jedoch überzeugt, dass alle Symptome darauf hindeuten. Da es in Norddeutschland kaum Anlaufstellen für MCAS-Erkrankte gab, wandte ich mich Ende 2021 an einen Ernährungsmediziner, der sich zumindest mit der MCAS-Diagnostik auskannte. Die Wartezeit betrug damals schon sechs Monate. Darüber hinaus musste ich allein für einen Honorarvertrag 300,- EUR bezahlen, obwohl ich den Arzt noch nie gesehen hatte. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Blut- und Urinuntersuchungen zeigten einen ersten Hinweis auf MCAS, der sich dann durch eine Magen-/ Darmspiegelung mit Schichtbiopsie und Auszählung der Mastzellen erhärten sollte. Bingo! Leider war der Ernährungsmediziner jedoch nicht bereit, mir die Basismedikation zu verschreiben, sondern schwörte stattdessen auf Vitamin C-Infusionen. Diese verschafften mir keine Erleichterung, sondern verschlechterten meinen Zustand zusätzlich. Frei verkäufliche Antihistaminika vertrug ich nicht. Nach der ersten Corona-Schutzimpfung reagierte ich plötzlich auf Gemüse, Obst und Duftstoffe. Masken konnte ich keine mehr tragen, ohne Hautausschlag zu bekommen. Ich wusste nicht mehr, was ich überhaupt noch essen konnte.

 An diesem Punkt wandte ich mich an eine bundesweit bekannte Praxis für Ernährungsmedizin, was sich als eine Riesenenttäuschung herausstellte. Ich hatte in der vorbereitenden Mail bereits dringend darum gebeten, dass das Anamnesegespräch, das man selbst bezahlen musste, von einem MCAS-kundigen Arzt geführt wird. Vor Ort musste ich dann jedoch erkennen, dass die Dame, die mir gegenübersaß, sich weder mit MCAS noch mit Salicylatintoleranz auskannte. Zudem waren meine umfangreichen Unterlagen, die ich vorab zugeschickt hatte, nicht mehr auffindbar. Der Termin, der über 100,- EUR kostete, war damit für die Katz‘. Die Ernährungsberaterin wiederum war sehr nett, konnte mich jedoch auch nur in meinem Vorgehen bestätigen, da ich Nahrungsmittel-Tabellen wie die SIGHI-Liste, Baliza-App oder samter-trias.de bereits auswendig kannte. Mein Wunsch, dass jemand mit mir einmal ausrechnet, wie ich auf meine Nährstoffe etc. pro Tag komme, wurde nicht erfüllt. Bei einem zweiten Arzttermin, den ich nochmals wagen wollte, geriet ich an eine junge Ärztin, die mir erst einmal eröffnete, dass die Anzahl meiner Befunde eine Frechheit sei. Ich selbst konterte damals nur mit „Willkommen in meiner Welt“. Sie hielt dann eine 35minütige Rede, die ich nicht unterbrechen durfte. U.a. ging sie davon aus, dass ich kein MCAS habe, interpretierte meinen Mikrobiom-Befund falsch und empfahl mir Darmpräparate, die bei Histaminintoleranz und MCAS völlig unverträglich sind. Als ich endlich reden durfte und ihr entgegnete, dass die MCAS-Diagnostik von einem anerkannten Arzt, der ihr auch bekannt war, hieb- und stichfest waren und dass die E-Colis im Mikrobiom bei mir nicht hoch, sondern eher zu niedrig seien, wurde sie still. Von einer Schwefelwasserstoff-SIBO hatte sie noch nie etwas gehört. Auf meine Bemerkung, dass ich die Präparate nicht vertragen würde, kam dann nur noch „Etwas anderes kenne ich nicht“. Wieder über 100,- EUR in den Sand gesetzt. An dem Punkt hatte ich genug und brach auch die Ernährungstherapie ab. Mir wurde klar, dass ich mich allein kümmern muss. Aufgrund dieser Erfahrungen kann ich den Hype um diese Praxis, die eine bemerkenswerte Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland betreibt, nicht nachvollziehen. M.E. sind die dort angestellten Ärzte und Ernährungsmediziner ideal, wenn jemand wirklich nur eine Erkrankung hat – und selbst nicht in der Lage ist, Lebensmitteltabellen zu lesen und sich danach zu richten. Wenn jemand jedoch unter mehreren komplexen Erkrankungen und Unverträglichkeiten leidet, sind diese völlig überfordert. Sie geben dies dann jedoch nicht zu. In der Öffentlichkeitsarbeit und im TV werden nur die leichten Fälle gezeigt, die erfolgreich behandelt werden konnten. Darüber hinaus kamen zumindest die beiden Ärztinnen, mit denen ich es zu tun hatte, nicht damit klar, dass ihr Gegenüber schon sehr viel Wissen besitzt und auch mal Kontra gibt, wenn etwas Falsches behauptet wird. Das ist sehr schade. Aber aus Erfahrung wird man klug.

Zum Glück war mein Hausarzt bereit, mir die MCAS-Basismedikation zu verschreiben. Teilweise werden diese ohne Zusatzstoffe von der Klösterl Apotheke in München hergestellt. Das Einschleichen war mühsam. Aber schrittweise ging es mir besser. Mit einer strengen Diät und dank der Hilfe der Facebook-Selbsthilfegruppen fand ich dann langsam heraus, was ich noch essen und trinken konnte.

Parallel machte ich noch einen Test auf Salicylatintoleranz („Talking Cells-Test“). Dieser Bluttest wurde an der Uniklinik Erlangen über Prof. Dr. Bänkler ausgewertet. Leider gibt es diesen Test heute nicht mehr, da Prof. Dr. Bänkler in Ruhestand gegangen ist. Bei mir war er eindeutig positiv, was ich jedoch schon ahnte. Bereits im Vorfeld hatte ich alle Putz- und Waschmittel ausgetauscht sowie die Körperpflege auf salicylat- und benzoatfrei sowie duftstofffrei umgestellt. Auf Kosmetik verzichtete ich vorerst, da ich mir nicht sicher war, was ich überhaupt noch benutzen durfte. Da wir uns mitten in der Corona-Zeit befanden, fiel mir das jedoch auch nicht schwer.

 


genetik und zahngesundheit

Aufgrund der MCAS-Diagnose lag nahe, sich auf Komorbiditäten und damit auch auf das Ehlers-Danlos-Syndrom(EDHS) testen zu lassen. Glücklicherweise gab es in meiner Heimatstadt eine Praxis, die die Testung der wichtigsten Gene anbot. Dafür war ich sehr dankbar. Der Verdacht bestätigte sich zum Glück nicht, wobei jedoch seltene Genkonstellationen nicht ausgeschlossen werden konnten, die für eine EDHS sprechen. Aber ich war erstmals beruhigt.

Natürlich machte ich mir aber auch über meine genetischen Entgiftungswege Gedanken, seitdem ich wusste, dass ich eine HPU habe. Daher recherchierte ich viel und wandte mich an ein Labor, in dem auch eine umweltmedizinische Sprechstunde angeboten wird. Diese war jedoch so begehrt, dass ich über Monate täglich mehrere Male im Online-Kalender nachschauen musste, ob ein Termin vergeben wird. Irgendwann hatte ich Glück und konnte einen Termin buchen. Vorab hatte ich mich in den Selbsthilfegruppen erkundigt, welche Gene bei einer MCAS und Salicylatintoleranz unbedingt getestet werden sollten. Die Überweisung erhielt ich von meinem Hausarzt.

Das Gespräch vor Ort war sehr nett und zugewandt. Danach wurde mir Blut abgenommen. Der Arztbericht, der einige Monate später verschickt wurde, war jedoch ernüchternd. Letztlich hatte der Arzt nur die Hälfte der Gene testen lassen, die wichtig waren. Zudem hatte er scheinbar MCAS mit MCS verwechselt, obwohl ich ihm schriftliche Infos vorlegte. Auch die Salicylatintoleranz wurde nicht berücksichtigt, obwohl es für diese unterschiedliche genetische Ursachen gibt. Der Arzt war daher der Meinung, dass alle Unverträglichkeiten, unter denen ich litt, auf das Vitamin D-Hochdosis-Protokoll zurückzuführen sind.  Da ich die Probleme bereits vorher hatte, wusste ich jedoch, dass dies auf keinen Fall stimmte. Die Ergebnisse waren für mich daher nur bedingt hilfreich und beschränkten sich auf einige wenige Werte. Ich brauchte mehr Informationen. Daher entschied ich mich, einen umfangreichen Gentest über selfdecode.com zu veranlassen, über den ich mir die notwendigen Genkonstellationen dann selbst über die Rohdaten zusammensuchen musste. Dieser war günstiger als sich die Einzelwerte über ein deutsches Labor zu beschaffen. In diesem Zusammenhang wurde mir aber auch nochmals klar, wie schwierig es in Deutschland noch ist, gewisse Erkrankungen genetisch abklären zu lassen. Hier sind uns zumindest die angelsächsischen Länder weit voraus.

Zudem wandte ich mich nochmals an eine Heilpraktikerin, die sich auf HPU und Zahnmedizin spezialisiert hatte. In Hinblick auf die HPU war ich auf einem guten Weg, wie es schien. Da ich jedoch durch die MCAS keine großen Risiken eingehen konnte, war an eine Ausleitung von Schwermetallen und Co. nicht zu denken. Aufgrund der Salicylatintoleranz wiederum durfte ich keine pflanzlichen Mittel einnehmen, die normalerweise zur Unterstützung der Entgiftungsorgane eingesetzt werden. Daher wurde es recht kompliziert, bis ich auch für die Leber und Niere geeignete Unterstützung fand.

Aber mein Leaky Gut hatte sich durch die Corona-Schutzimpfung eher noch verschlechtert. Daher wollte ich wissen, inwieweit meine Zahngesundheit einen Einfluss hatte. Mein damaliger Zahnarzt betonte seit Jahren, dass alles in bester Ordnung sei. Aber ich konnte mir das aufgrund meiner Symptome nicht mehr vorstellen, auch wenn mein Rantes-Wert völlig in Ordnung war. Ich wollte auf Nummer Sicher gehen und führte bei der Heilpraktikerin einige Tests durch. Der Unverträglichkeitstest auf Zahnmetalle war negativ, während der Speicheltest horrende Metallwerte enthüllte: Ich hatte einen 1000-fachen Goldwert im Speichel und einen 300-fachen Palladium-Wert. Auch andere Metalle waren sehr viel höher als die Referenzwerte. In einem anschließenden Dental-CT, auf das ich neun Monate warten musste, wurden zudem sechs NICOs sowie eine gespaltene Wurzel entdeckt. Damit war klar, dass ich meine Goldkronen sowie sechs NICOS entfernen lassen muss. Zudem musste ich mir drei Zähne ziehen lassen, die nicht mehr zu retten waren. Ein Mammutprojekt, für das ich einen neuen Zahnarzt suchen musste, der Verständnis für MCAS und Co. hat. Dank meiner Heilpraktikerin fand ich diesen aber recht schnell und plante mit ihm das weitere Vorgehen. Aufgrund der MCAS war klar, dass ich diese Eingriffe nur einzeln durchführen konnte – und vor allem in der Zwischenzeit Pausen einlegen musste, um meinem Körper die notwendige Ruhe und Erholung zu gönnen. Letztlich sollten es 18 Monate werden, die ich für alle sechs Operationen benötigte. Der Gebissaufbau steht noch aus. Nach der letzten NICO-OP bekam ich jedoch eine Belohnung in Form von guten Blutergebnissen: Zum ersten Mal seit Messung waren meine Leaky Gut-Werte (I-FABP und Co) Mitte 2023 im grünen Bereich. Zudem hatte sich mein Knochenstoffwechsel endlich erholt.



me/cfs- und erregerdiagnostik

Ende 2021 stieß ich u.a. nach einer Messung der Neurotransmitter-Autoantikörper nochmals auf ME/CFS. Die Werte waren durchweg sehr hoch, was mich nicht verwunderte. Mir war nach eingehender Beschäftigung mit dem Thema schon länger klar, dass ich wahrscheinlich an ME/CFS leide. Bisher hatte ich das Thema jedoch verdrängt. Aber nun wollte ich es wirklich wissen und vereinbarte einen Termin bei einem Privatarzt, der sich auf ME/CFS spezialisiert hatte. Im März 2022 bekam ich dann die klare Diagnose rückwirkend auf 2003 ausgestellt. Dieser Schritt bedeutete für mich sehr viel. U.a. empfand ich große Erleichterung, da ich nun endlich wusste, was mit mir seit Jahrzehnten falsch lief. Die Diagnose entlastete mich sehr, da nun klar war, dass ich keine Schuld an meinen Gesundheitszustand trug und dass ich mit meinem Gefühl richtig lag. Auch wurde damit deutlich, dass ich nicht mehr in meiner Seele nach noch versteckten Traumata suchen muss. Das, was in den letzten Jahren alles hochgekommen war, reichte auch für drei Leben.

Im Abschlussgespräch wurde mir zudem bestätigt, dass ich vieles aus dem Bereich Pacing und Co. bereits umgesetzt hatte und eigentlich nur noch Feinjustierungen vornehmen musste. Da ich inzwischen wieder in der Lage war, einstündige Spaziergänge zu unternehmen, war ich guter Dinge und voller Hoffnung. Dank meiner regelmäßigen Dehnungsübungen, die zu einem abendlichen einstündigen Ritual wurden, hatte ich in der Zwischenzeit auch meine Muskelrelaxantien abgesetzt, die ich fast 15 Jahre lang täglich hochdosiert einnehmen musste. Meine Fibromyalgie-Schmerzen hatten sich durch die Einnahme von LDN stark reduziert. Auch die Migräne trat nur noch vereinzelt auf. Vieles stimmte mich optimistisch.

Gleichzeitig hatte ich jedoch mit sehr viel Wut zu kämpfen, die in Etappen in mir ausbrach. Angesichts der vielen Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen, die ich in all den Jahren abbekommen habe, entfachte ich einen regelrechten Zorn, mit dem ich erst einmal klarkommen musste. Ich merkte, dass die Bitterkeit sich in mir breit machte, der ich jedoch nicht nachgeben wollte. Zum Glück hatte ich meine Körper- und meine Ergotherapeutin, mit denen ich diese Gefühle bearbeiten konnte.

Letztlich nutzte ich die Wut konstruktiv. Eine befreundete Journalistin bot mir an, ein Portrait von mir zu schreiben, um zumindest die Menschen in unserer Gegend über ME/ FS aufzuklären. Dies war ein erster Schritt. Das Feedback, das ich erhielt, tat dann auch gut. Dieses nahm ich wiederum zum Anlass und schrieb alle Bürgerschaftsabgeordneten von Hamburg an, um über die schlechten Bedingungen für ME/CFS- und Long Covid-Erkrankte im Bundesland Hamburg aufzuklären. Das Feedback war jedoch eher spärlich und nicht besonders ermutigend, was emotional wiederum erst einmal verkraftet werden musste. Anfangs dachte ich noch, dass es an meiner Person und einer fehlerhaften Ansprache lag. Ich hörte jedoch von einem Mitstreiter, der zu selben Zeit sein Buch an alle Abgeordneten verschickte und der noch weniger Feedback erhielt.

Als ich dann von der einzigen CFS-Ambulanz in Norddeutschland abgelehnt wurde, packte mich wieder einmal die Resignation. Die Ambulanz begründete die Ablehnung mit der bereits gestellten Diagnose. Mein Einwand, dass bei mir laut des ME/CFS-Experten umfassende immunologische Untersuchungen nachgeholt werden müssen, wurde nicht berücksichtigt. Inzwischen gibt es Gerüchte, dass diese Ambulanz wieder schließen musste aufgrund des hohen Andrangs. Ein Aberwitz angesichts der vielen un- bzw. fehldiagnostizierten und unversorgten ME/CFS- und Long Covid-Fälle.

Mir war es jedoch sehr wichtig, auch die letzten stichhaltigen Diagnosen zu erhalten. Denn ich hatte keine Lust mehr, mich zukünftig mit Ärzten auseinanderzusetzen, die unerklärliche Symptome auf die Psyche schieben. Daher blieb mir nichts anderes übrig als mich wieder an einen Privatmediziner zu wenden, was ich im Frühjahr 2023 umsetzte. Dafür musste ich jedoch eine Autofahrt von drei Stunden einplanen, da es in der Nähe meines Wohnortes keinen entsprechenden Mediziner gab, der noch Patienten aufnahm. In dem Zuge investierten wir einen Kurzurlaub, damit ich mich vor und nach den Arztbesuchen ausruhen konnte. Bei diesem Termin wurde die ME/CFS bestätigt sowie die Schwere der entholialen Dysfunktion festgestellt. Darüber hinaus wurden umfangreiche Bluttests in Hinblick auf verschiedenen Erreger und mein Immunsystem veranlasst. Dankenswerterweise wurden bei dem Termin auch die Hautbiopsien entnommen, die für die Diagnostik der Small Fiber Neuropathie (SFN) notwendig waren. Diese wurden dann später in der Hautklinik der Universitätsklinik Münster ausgewertet. Einige Monate hatte ich dann die letzten Beweise: Ich litt unter einem reaktivierten EBV-Virus und unter einem IGG-Subklassenmangel. Zudem wurde die Diagnose „Small Fiber Neuropathie“ bestätigt. Leider konnte ich die Therapiepläne des Arztes jedoch nicht umsetzen, da die verordneten Medikamente unverträglich waren. Auch eine Mikroimmuntherapie ist bei mir hinsichtlich des EBV laut eines Mikroimmuntherapeuten nicht zielführend, da ich seit der Impfung unter einer TH2-Dominanz leide, die ich bisher trotz aller Bemühungen nicht umkehren konnte. Daher konzentrierte ich mich erst einmal auf Nahrungsergänzungsmittel wie z.B. L-Lysin oder Serrapeptase.

Die Erregerdiagnostik sollte mich 2023 noch einige Monate beschäftigen, da mein ganzheitlicher Arzt nochmals alle möglichen Bakterien über ein anderes, nicht akkreditiertes Labor testen ließ, das dafür bekannt war, immer etwas zu finden. Die Resultate zeigten eine leicht erhöhte akute Rickettsiose sowie eine zurückliegende Borreliose. Darüber hinaus gab es positive Grenzwerte für zwei Geschlechtserkrankungen. Ich war anfangs erschüttert und recherchierte im Internet. Dort stieß ich auf einen Verein für Infektionserkrankungen, der versprach, bei Rickettsiose zu helfen. Letztlich hatte ich dort jedoch sehr ungute Gespräche und Erlebnisse, die aufzeigten, wie unseriös dieser Verein arbeitet. Die Beratungen sollten mit „freiwilligen“ Spendengeldern bezahlt werden, was letztlich Steuerbetrug und Honorarverschleierung ist. Selbst die Laborkosten in Höhe von 6800,- sollten ohne jeglichen Laborschein als Beleg über eine Spendenquittung bezahlt werden. Darüber hinaus wurde verlangt, dass unterschiedliche Untersuchungen und Behandlungen nur von Vereinsmitgliedern durchgeführt werden, obwohl diese teilweise Hunderte von km weit weg wohnten. Für mich wären es teilweise Doppeluntersuchungen gewesen, was jedoch nicht berücksichtigt wurde. Da die sehr riskante Therapie, die sich über Jahre hinzieht und mehrere Antibiotika beinhaltet, zudem in dem Verein nur von einer Journalistin und einem Zahnarzt begleitet wird, wurde ich sehr stutzig. In den beiden Gesprächen, die ich mit dieser Journalistin führte, wurden darüber hinaus alle bisherigen Bemühungen und Diagnosen meiner Ärzte ins Lächerliche gezogen, da laut dieses Vereins alle gesundheitlichen Probleme von ME/CFS-Erkrankten auf eine Rickettsiose zurückzuführen sind. Auf meine kritischen Fragen angesichts der hochriskanten Therapien bekam ich nur die Antwort „Sie müssen schon vertrauen“. Da die Dame, mit der ich sprach, den Begriff „Salicylatintoleranz“ jedoch noch nicht mal aussprechen konnte, fiel mir das doch schwer. Aber mein detektivischer Spürsinn war erweckt: Ich wollte den Verein genauer überprüfen. Bis jetzt habe ich jedoch noch nicht einmal die Satzung des Vereins zu Gesicht bekommen. Kurzzeitig war ich zutiefst verunsichert, aber auch erschrocken angesichts der Machenschaften, die ich in diesem Zusammenhang entdeckte. Zum ersten Mal erkannte ich am eigenen Leib, wie viel Geschäft mit der Not schwerkranker Menschen gemacht wird.

Zum Glück habe ich eine sehr liebe Freundin, die in der Tiermedizin als Labormitarbeiterin Tierärzte und Tierbesitzer in Bezug auf die Laborergebnisse und Behandlungen von schweren Infektionserkrankungen berät (darunter fallen auch Rickettsiose und Borreliose). Diese hat sich die Ergebnisse und auch das Labor nochmals genau angeschaut und mich beruhigt, da alle Werte im Grenzbereich lagen. Zudem hat sie mir aufgezeigt, welche Untersuchungen noch notwendig sind, um den Verdacht auf eine akute Infektion zu erhärten. Dankenswerterweise übernahm mein Hausarzt den Vorschlag und überprüfte wirklich alle möglichen Blutwerte, die zumindest bei einer akuten Rickettsiose auffällig sein müssten. Diese Untersuchungen waren alle ohne Befund. Darüber hinaus fand ich über Gruppen heraus, dass bei diesem Labor auch gesunde Menschen positive Befunde erhielten. Das Labor selbst verwies bei meinen Fragen auf die Notwendigkeit von auffälligen klinischen Befunden. Es machte selbst deutlich, dass ein Laborbefund bei diesen Erkrankungen nur eine Diagnostiksäule von vielen ist.

Um ganz sicher zu sein, ließ ich sowohl Rickettsien als auch Borrelien nochmals über zwei akkreditierte Labore auf unterschiedliche Weise testen, die aufgrund ihrer sensiblen Testmethoden bei Erregern bekannt sind. Beide Labore ergaben negative Werte. Da ich zudem im Frühjahr schon eine Testung bei einem weiteren Labor für Mikroimmuntherapie alle Erreger testen ließ, hatte ich nun das Ergebnis, mit dem ich mich auseinandersetzen musste: Drei unabhängige, aber akkreditierte Labore waren der Meinung, dass ich weder Borrelien noch Rickettsien habe. Ein Labor, das nicht akkreditiert ist, aber damit wirbt, immer etwas zu finden, zeigt leicht positive Grenzwerte. Das akute klinische Bild bzw. alle anderen Blutuntersuchungen ergaben keinen Hinweis auf eine Akutinfektion mit Bakterien. Zudem wusste ich durch einen meiner Privatmediziner, dass bei einem reaktivierten EBV oft falsch positive Borreliose-Werte im Blut zu finden sind, die nach einer erfolgreichen EBV-Behandlung verschwinden. Daher entschied ich mich für den gesunden Menschenverstand und für die drei Labore. Priorität war und ist für mich der reaktivierte EBV, mit dem ich zu kämpfen habe.

Auch die Geschlechtserkrankungen ließ ich über meine Frauenärztin noch einmal gegenchecken mit klinischer Untersuchung, Abstrich und Co. Kein einziger Hinweis auf eine Infektion!

Die Frage, ob ich nun an Borreliose oder Rickettsiose erkrankt bin, hat mich im Nachhinein einige Monate meines Lebens, viele Nerven, Tränen und letztlich auch sehr viel Geld gekostet. Diese Unsicherheit möchte ich nicht noch einmal erleben. Genauso wenig möchte ich mit unseriösen Vereinen zu tun haben, die mit dem Leid von Menschen große Geschäfte machen und diese im Zweifelsfall schädigen. Die Untiefen, die ich in diesem Zusammenhang entdecken musste, machten mich erst einmal fassungslos.

Ich bin überzeugt, dass Borreliose und Co. sehr schlimm sein kann – und dass diese Infektionserkrankungen bei vielen Menschen von der Schulmedizin übersehen werden, was großes Leid verursacht. Und ich weiß, dass bei einer solchen Infektion auch etwas getan werden muss. Aber ich musste feststellen, dass es rund um Borreliose und Co. auch sehr viel Missbrauch, Halbwissen, unnötige Behandlungen, Geldmacherei und Co gibt - und dass es gut ist, kritisch zu bleiben, Dingen auf den Grund zu gehen und bei sich zu bleiben.

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