Freitag, 31. Mai 2024

Schwierigkeiten mit Imaginationen und Co.


Imaginationsübungen wirken kraftspendend und geben Schutz und Sicherheit. Zudem verschaffen sie die Möglichkeit, sich von belastenden Gefühlen und Situationen zu distanzieren und bieten Zugang zur Selbstfürsorge und realistischen Selbsteinschätzung. Dabei unterstützen sie die Innenkommunikation und den Zugang zu längst verschütteten Emotionen. Vor allem aber können Imaginationsübungen – in schwierigen Situationen angewandt – helfen, stabil zu bleiben. Damit sind sie – im Gegensatz zu Meditationen, die z.B. bei Traumafolgestörungen kontraindiziert sind – auch in psychisch instabilen Situationen geeignet. Emotionale Krisensituationen können mit ihrer Hilfe besser kontrolliert und beeinflusst werden. Darüber hinaus unterstützen sie eine konsequente Ressourcenorientierung, indem sie den Zugang zu Ihren inneren Ressourcen ebnen. Imaginationsübungen sind somit keine reinen Entspannungsübungen. Sie dienen zur Beruhigung, aber gleichzeitig zum mentalen Training.

Aber auch Imaginationen haben ihre Grenzen und zeigen bei manchen Patienten keine Wirkung. Im Gegenteil: Im schlimmsten Fall tritt eine Verschlechterung des Zustandes ein, wodurch Anspannung sowie Angst stark ansteigen können.

Wenn Sie davon betroffen sein sollten, zweifeln Sie bitte nicht an Ihrer Kompetenz oder Ihrer Motivation. Brechen Sie jedoch sofort ab und bewegen Sie sich, falls es Ihnen während der Übung schlechter gehen sollte. Wenn Sie eine Therapie machen, suchen Sie das Gespräch mit Ihrer Therapeutin, um herauszubekommen, was Sie aktuell an Ihrer Imaginationsfähigkeit hindert.

Stellen Sie sich u.a. folgende Fragen:
- Liegt es an der Übung selbst?
- Ist in der Übung etwas Schlimmes passiert?
- Sind dunkle Gestalten oder gar Flashbacks aufgetaucht?
- Ist das Vertrauen zum Therapeuten oder zur Gruppe stimmig?
- Komme ich mit dem Raum und der Umgebung klar?
- Oder war es zu kalt oder zu heiß?
- Gab es störende Geräusche?
- Liegt es an meinem aktuellen Befinden?
- Wie geht es mir körperlich und seelisch?
- Bin ich noch zu angespannt?
- Habe ich noch schädigende Kontakte, die es mir unmöglich machen, mich sicher zu fühlen oder mich auf die Übung einzulassen?
- Oder gibt es in der Übung Begriffe, Worte, Sätze, die mich triggern oder belasten?

In letzterem Fall ist es sinnvoll, die Imaginationsübung gemeinsam mit Ihrer Therapeutin durchzugehen und entsprechend umzuschreiben. Üben Sie dann die Imagination mit Unterstützung Ihrer Therapeutin in einer Einzelstunde ein. So können Sie am besten überprüfen, ob der Wortlaut nun stimmig und unbelastet genug ist, um positive Assoziationen wecken zu können.

Wenn Sie grundsätzlich Probleme mit Imaginationsübungen haben, sollten Sie sich darüber hinaus folgende Fragen stellen:
a) „Habe ich Angst vor Kontrollverlust?“,
b) „Kann ich mich konzentrieren?“.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, sich nochmals mit der eigenen Selbstkontrolle und dem Skills-Management zu beschäftigen.

Überprüfen Sie, ob Sie sich auf eine Übung fokussieren und die Aufmerksamkeit halten können.

Wenn dies nicht gelingt, kann es zum einen mit einer völligen Erschöpfung zusammenhängen. Dann brauchen Sie erst einmal viel Ruhe.

Zum anderen kann es jedoch auch daran liegen, dass Sie zu aufgeregt sind und erst einmal zur Ruhe kommen müssen. Dann sollten Sie sich erst einmal bewegen, um später eine gewisse Ruhe und Konzentrationsfähigkeit entwickeln zu können. Denken Sie dabei auch an Ihre Skills, mit denen Sie sich beruhigen und entspannen können.

Bitte denken Sie zudem daran, dass die Imaginationen umso besser wirken, je mehr sie geübt werden. Daher bitte ich Sie, anfangs nicht zu viel von sich zu erwarten. Haben Sie Geduld – mit sich selbst und der Unmenge an neuem Material, das es zu beherrschen gilt. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Imaginationen irgendwann zur Routine werden. Spätestens dann sind Sie in der Lage, diese automatisch in Krisen und Notsituationen einzusetzen. Nicht zuletzt können Sie die bisher erlernten Imaginationsübungen auch auf Ihre Bedürfnisse hin ausrichten, um- oder ausbauen. Wenn Ihnen ein Thema fehlt und Sie weitere innere Unterstützung benötigen, können Sie Ihre eigenen Übungen erfinden und entwickeln.

Wichtig ist dabei vor allem eines: Die Imaginationsübungen sind dazu da, um Ihnen helfen. Sie wurden nicht erfunden und weiterentwickelt, um zu überprüfen, ob Sie durch- und aushalten können. Daher entscheiden Sie persönlich, ob und welche Imaginationsübungen in Ihr Programm aufgenommen werden.

Die Funktion von Affirmationen


A
ffirmationen ersetzen alte Glaubenssätze

Affirmationen haben unterschiedliche Ziele. U.a. können sie schlechte Glaubenssätze, die sich in uns eingebrannt haben, ersetzen. Durch den regelmäßigen Gebrauch der neuen, sorgsam ausgewählten und formulierten Leitsätze können wir ein neues, realistisches und stimmiges Selbstwertgefühl aufbauen.

Affirmationen zur Zielerreichung

Bei der Krankheitsbewältigung haben Affirmationen noch eine weitere Funktion. Indem Sie für sich in positiven Leitsätzen in der Gegenwartsform formulieren, was Sie erreichen wollen, haben Sie einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan. Anfangs sind die positiven Affirmationen vielleicht mehr Wunschdenken als Realität. Durch die Affirmationen bildet das Gehirn jedoch neue neuronale Verbindungen. Dadurch wird das Unterbewusstsein neu programmiert – und wir sind der Realität näher als wir denken.

Mehr zu Affirmationen und ihre Handhabung finden Sie in dem Buch "Kopf über Wasser: Leben mit ME/CFS und MCAS"

Spiritualität: Der Sinn im Leben


 Spiritualität: Der Sinn im Leben[i]

Spiritualität ist ein wunderschönes, zugleich aber ein so schwer greifbares Wort. Es gibt bis heute keine einfache oder einheitliche Definition für diesen Begriff, da diese stark von dem jeweiligen kulturellen Umfeld abhängt. Zum besseren Verständnis möchte ich Spiritualität daher hier mit der Offenheit gegenüber einer geistigen (und damit nicht-materiellen) Welt gleichsetzen.[ii] Damit verbunden ist der Glaube, dass es eine höhere Wirklichkeit und damit einen Sinn im Leben gibt, der in allem sichtbar wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Mensch nicht an Gott glauben muss, um spirituell zu sein. Spiritualität ist damit nicht dasselbe wie Religion. Aber alle Anhänger von Religionen haben wiederum eines gemeinsam: Sie glauben an eine geistige Welt und einen tieferen Sinn im Leben. Sie streben nach etwas Höherem – und sind damit spirituell.

Der Glaube an einen Sinn in diesem Leben und das Gefühl der Zugehörigkeit zu dieser Welt geben Kraft, Sinn und Zuversicht. Spiritualität schenkt Frieden und Ruhe. Sie verleiht Mitgefühl mit der Natur und ihren Geschöpfen. Zudem gibt sie uns Antworten auf Fragen, die wir uns in unserem Innersten immer wieder stellen. Gerade aber Menschen, denen durch eine so schwere Erkrankung so viel Lebensqualität genommen wurde, verlieren – vorübergehend oder manchmal für immer – ihre eigene Spiritualität. Sie finden mit all dem Leid keinen inneren Frieden mehr. Auf die Frage, wie ein Gott oder das Universum all das persönliche Leid – und auch das Leid auf dieser Erde – zulassen kann, werden keine Antworten mehr gefunden. Die Menschen fühlen sich verlassen. Der Glaube an eine höhere und gute Kraft wurde maßlos enttäuscht und ist verloren.

Auch Menschen, die mit dem Bild eines strafenden und strengen Gottes aufwuchsen, haben große Probleme mit der Spiritualität. Es ist verständlich, wenn Religion oder Spiritualität dann für immer negativ besetzt sind. Auch ist es nachvollziehbar, wenn die Beschäftigung mit dem Thema vermieden wird.[iii] Dies muss auch unumwunden akzeptiert werden.  

Sollten Sie sich jedoch für eine vorsichtige (Wieder-)Annäherung an Ihre Spiritualität interessieren, empfiehlt sich der Kontakt zur Natur. Eine Möglichkeit, achtsam mit der Natur in Verbindung zu kommen, ist das „Waldbaden“[iv]. Seit einigen Jahren hat sich diese Freizeitbeschäftigung, die in Japan etabliert wurde, auch in Deutschland einen Namen gemacht. In Japan wurde Shinrin-Yoku, japanisch für „Baden im Wald“, bereits seit 1982 als Gesundheitsmaßnahme gepriesen. Es ist jedoch kein einfacher Spaziergang durch den Wald. Man muss dabei nicht viele Meter hinter sich bringen. Vielmehr tauchen die Kursteilnehmer mit allen Sinnen in die Stille und Natur der Wälder ein. Auch die Imaginationsübung "Der Baum" kann hier hilfreich sein. Durch diese Übung, die Sie auch im Liegen durchführen können, bekommen Sie eine Ahnung, wie stark und kraftvoll ein Baum sein kann – und wie viel er uns Menschen beibringen kann.

Zudem können  Meditationen, Yoga, Qi Gong und Tai-Chi zu einer tiefen inneren Spiritualität führen. Mehr Informationen zu diesen sanften uralten Entspannungs- und Bewegungstherapien finden Sie im Kapitel „Körpertherapien in der Traumatherapie“. Wenn Sie die Übungen regelmäßig machen, verbessern Sie nicht nur Ihre Beweglichkeit und Gesundheit. Sie finden auch innere Ruhe, Entspannung und einen tieferen Sinn. Beim Qi Gong z.B. gilt der menschlichen Körper als Spiegelbild des Universums. Damit wird Qi Gong als harmonisierende Methode gesehen, die Werden, Wandel und Vergehen begleitet. Die Übungen sind nach Ereignissen, Tieren oder Pflanzen benannt. Somit werden wir, je länger, tiefer und regelmäßiger wir Qi Gong anwenden, unserer Zugehörigkeit zur Natur und damit zum Universum bewusst. Menschen, die lange Qi Gong und Yoga betreiben, erzählen mitunter, wie sehr sich ihr Leben inzwischen zum Guten gewandelt hat – und wie tiefgehend die Übungen wirkten.

Darüber hinaus kann die Achtsamkeit uns zu einer tiefen Spiritualität führen. Sie hat ihren Ursprung im Buddhismus und ist damit nicht nur eine Methode zur Stressbewältigung. Vor allem der Zen-Buddhismus lebt durch Achtsamkeit und die Konzentration auf den täglichen Moment: „Der Weg ist Dein tägliches Leben.“ Die Wahrnehmung der Natur und der Jahreszeiten hat dabei eine große Bedeutung. Teezeremonie, Ikebana, Kalligrafie, Schwertkampf oder auch Judo sind Teil dieses Wegs, der nach wie vor von Millionen von Menschen beschritten wird.

In Europa hat sich Achtsamkeit durch Jon Kabat-Zinn und die Methode MBSR „Mindfulness-Based Stress Reduction“ einen Namen gemacht.[v] Unabhängig von der Religion eines Menschen, gilt Achtsamkeit hier als die nicht-bewertende Wahrnehmung dessen, was in jedem Augenblick geschieht. Damit werden wir in die Lage versetzt, uns und damit unsere Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle und alle anderen Wahrnehmungen zu erfahren und so zu akzeptieren, wie sie sind. Dadurch erleben wir das Leben, wie es sich von Augenblick zu Augenblick entfaltet.[vi] Laut Jon Kabat-Zinn ist „… Achtsamkeit eine hochwirksame Methode, uns wieder in den Fluss des Lebens zu integrieren und uns dadurch mit unserer Weisheit und Vitalität in Berührung zu bringen.“[vii]

Sie können Ihre Achtsamkeit z.B. beim Essen testen. Eine sehr bekannte Achtsamkeitsübung ist die „Rosinen-Übung“, die natürlich auch mit anderen Lebensmitteln funktioniert.

Manche Betroffene entdecken ihre Spiritualität wiederum in der Kunst, die als Ausdruck der Seele und Persönlichkeit seit Jahrtausenden unser Leben widerspiegelt. Kunstwerke können uns damit Antworten geben auf Fragen, die uns immer wieder bewegen. Und wir finden uns in ihnen wieder. Hatten Sie nicht auch schon einmal das Gefühl, in einer Ausstellung von einem Bild magisch angezogen zu werden? Kennen Sie die Geschichte von Frida Kahlo, die schwerkrank viele ihrer Bilder im Bett gemalt hat? Und wer kennt nicht die Gänsehaut bei gewissen Konzerten oder das Gefühl, dass genau dieses eine Lied die Antwort auf all seine Fragen enthält? Egal, ob Musik oder Malerei, Gedichte oder Romane, Bildhauerei oder Architektur: Überall erzählen Künstler vom Leben und dem Sinn des Lebens, von dem Wunder der Natur und ihrem Glauben, von Vergangenheit und Zukunft, von Geschichte und Vision. Wenn Sie selbst malen, musizieren oder schreiben, wissen Sie das sicherlich.

Und nicht zuletzt bleiben viele Erkrankte in ihrem Glauben oder finden wieder zu diesem zurück. Selbst wenn sie sich in einer Kirchengemeinde nicht mehr wohlfühlen oder Gottesdienste nicht mehr besuchen können, so finden sie doch den Weg zurück in eine Kirche, die für sie als Ort der Besinnung und des Gebets wichtig geworden ist. Manche zünden Kerzen für ihre Liebsten an und suchen Kraft und Antwort in Gebeten, auch wenn sie mit der Kirche als Institution nichts mehr zu tun haben wollen. Auch Radio-Gottesdienste und Andachten können eine wichtige Rolle spielen. Andere brauchen ihren Glauben als Anker und Halt gegenüber dem Schlimmen, was ihnen begegnet ist. Im Kontakt mit achtsamen PastorInnen und Seelsorgern, die sich für Betroffene einsetzen, kann zudem neues Vertrauen wachsen und ein eigener Glaube neu entdeckt und geformt werden. Darüber hinaus machen Menschen, die für einen neuen Glauben und Gerechtigkeit in der Kirche kämpfen, Mut. Sie motivieren Betroffene, sich selbst wieder auf die Suche nach ihrem Glauben zu machen.

Egal, was für Sie in Hinblick auf Ihre eigene Spiritualität in Frage kommt: Wichtig ist, dass Sie – sofern Sie wollen – sich auf die Suche begeben und dabei gut auf sich achten. Nehmen Sie sich in diesem Zusammenhang genügend Zeit. Diese brauchen Sie, um (über sich selbst) nachzudenken, zu meditieren, zu singen oder Tagebuch zu schreiben. Sie brauchen Raum, um sich der Natur oder der Kunst wieder anzunähern oder eine Bewegungsmeditation auszutesten. Und sie brauchen Mut und wohlwollende Wegbegleiter, wenn Sie sich wieder einem Glauben zuwenden wollen. Wichtig ist, dass Sie dabei Ihre eigenen Werte achten und leben können. Und denken Sie daran: In der Spiritualität darf die Seele auftanken. Sie kennt keinen Zwang. Suchen Sie so oft wie möglich Ihre Kraftorte auf, egal wo sich diese befinden. Das kann ein Ort in der Natur sein, eine besondere Kirche, ein Konzerthaus oder ein Museum, ein Meditationszentrum oder ein anderes Gotteshaus. Vieles ist möglich. Und gönnen Sie sich Rituale. Wenn es Ihnen guttut, können Sie zudem an einer spirituellen Gemeinschaft (z.B. Kirchengemeinde oder Meditationsgruppe) teilnehmen und zu dieser Ihren Teil beitragen. Bitte denken Sie dabei immer daran, gut auf sich aufzupassen. Lassen Sie sich nicht zu sehr vereinnahmen. Und achten Sie darauf, Ihre Bedürfnisse sowie Ihre Grenzen ernst zu nehmen und nach außen zu vertreten.



[1]  Viele Inhalte stammen aus dem Buch von Spangenberg, Ellen (2008): Dem Leben wieder trauen. Traumaheilung nach sexueller Gewalt, S. 175-178



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