Bei ME/CFS und MCAS ergibt es Sinn, sich in Hinblick auf die Krankheitsbewältigung mit einer Psychotherapie auseinanderzusetzen und zu überlegen, ob eine solche unterstützen könnte.
Sollten Traumata oder Angststörungen eine große Rolle spielen, ist eine Therapie auf jeden Fall von Vorteil - wobei selbstverständlich die eigene Belastbarkeit eine große Rolle spielen sollte.
Bei einer Suche nach einem ambulanten Psychotherapie-Platz ist in erster Linie entscheidend, ob Sie gesetzlich oder
privat versichert sind. Sie sind in einer privaten Krankenkasse freier in Ihrer
Auswahl, während Sie in der gesetzlichen Krankenkasse mehr Regularien
berücksichtigen müssen. Diese akzeptieren z.B. nur TherapeutInnen mit
Kassensitz, die in den sogenannten Richtlinientherapien arbeiten. Diese unterscheiden
sich u.a. in Vorgehensweise und Zielsetzung. Entscheidend ist zudem ist die Zusatzausbildung der jeweiligen
TherapeutIn. Darüber hinaus sollten Sie sich bei den jeweiligen TherapeutInnen erkundigen, ob sie auch Sitzungen über Zoom machen, was seit Covid erlaubt ist.
a)
Verhaltenstherapie
b)
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
c)
Psychoanalyse
d) Systemische Therapie (seit 01.07.2020)
e) Gruppentherapie-Verfahren (seit 01.10.2021)
Verhaltenstherapie (VT)
Die Grundidee der
Verhaltenstherapie basiert auf der Lerntheorie, bei der davon ausgegangen wird,
dass psychische Störungen im Laufe eines Lebens erlernt wurden – und auch
wieder verlernt werden können. Dabei steht die Hilfe zur Selbsthilfe klar im
Vordergrund, um eine möglichst schnelle Heilung oder Linderung der Beschwerden
zu erzielen. Eine VerhaltenstherapeutIn arbeitet daher mit ihrer KlientIn daran,
gestörte und krankmachende Denk- und Verhaltensmuster durch gesündere
Alternativen zu ersetzen. Dabei gibt sie der KlientIn Techniken und Methoden an
die Hand, die von der dieser im Alltag geübt und trainiert werden.
Bei schweren körperlichen Erkrankungen geht es u.a. darum, Methoden zur Krankheitsbewältigung zu erlernen - was bei ME/CFS Pacing, Umgang mit körperlichen Symptomen und schwierigen Gefühlen sowie Unruhezuständen etc. bedeutet. Auch eine herausragende Leistungsorientierung, die früher hilfreich war und nun jedoch eher schädlich ist, dürfte ein Thema für eine Therapie sein. Mit den hilfreichen Methoden kann die KlientIN so schrittweise ihre Symptome selbst kontrollieren und auf Dauer überwinden.[i]
Verhaltenstherapie
findet hauptsächlich im Sitzen einmal wöchentlich für 50 Minuten statt. Für
bestimmte Übungen und Themen können auch Doppelstunden oder Auswärtstermine eingeplant
werden. In sogenannten Angstexpositionstrainings werden z.B. bestimmte
Situationen im öffentlichen Raum gezielt aufgesucht. Verhaltenstherapie-Stunden
können damit zeitweise auch in der U-Bahn, beim Einkaufen oder während einer
Autofahrt etc. stattfinden. Insgesamt werden in der Verhaltenstherapie 24
Sitzungen (Kurzzeittherapie) oder 45 Sitzungen (Langzeittherapie) genehmigt.
Falls notwendig, kann die Therapie auf bis zu 80 Therapieeinheiten verlängert
werden.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP)
Die tiefenpsychologisch fundierte
Psychotherapie basiert auf der Annahme, dass die Ursachen für die heutigen
Probleme im Unterbewussten liegen bzw. durch verdrängte und ungelöste Konflikte
oder Traumata in der Kindheit oder Jugend entstanden sind.[ii]
Eine tiefenpsychologische PsychotherapeutIn unterstützt ihre KlientIn, diese
Konflikte zu erkennen. In der Therapie wird daher zunächst nach den Ursachen
für die heutigen psychischen Beschwerden gesucht. Sobald die Ursachen bzw. die
Konflikte aus der Vergangenheit gefunden und geklärt werden konnten, wird in
der Therapie über Möglichkeiten gesprochen, um deren Einfluss auf die Gegenwart
zu verringern. Hier arbeitet die TherapeutIn mit tiefenpsychologisch fundierten
Techniken. Die Behandlung findet einmal pro Woche im Sitzen statt. In der Regel
werden zwischen 60 und 100 Therapiesitzungen genehmigt.
Psychoanalyse (PA) und die psychoanalytische Therapie
Die Psychoanalyse wurde von
Sigmund Freud begründet. Freud arbeitete mit der Theorie, dass psychische
Krankheitssymptome Ausdruck von verdrängten, schmerzhaften Erinnerungen sind.
Er ging daher davon aus, dass eine Klientin durch Ursachenfindung und
-beschäftigung genesen kann. Die analytische Therapie beschäftigt sich damit
detailliert mit der Biografie und Vergangenheit einer KlientIn. Ziel der Therapie
ist, verdrängte Erinnerungen aufzurufen und alte Konflikte aufzudecken. In
diesem Rahmen wird die KlientIn zum „freien Assoziieren" motiviert, worauf
sich "Deutungen" der TherapeutIn anschließen. Dadurch gewinnt die
Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn an Wichtigkeit. Auch wird mit
Übertragungen gearbeitet. Klassisch findet die Psychoanalyse nach wie vor im
Liegen statt. Die TherapeutIn sitzt in der Regel hinter ihrer KlientIn. Sie
nimmt sich damit zurück und gibt der KlientIn ihren ureigenen Raum.[iii]
In der ursprünglichen Form gilt die
Psychoanalyse inzwischen als ungeeignet für Menschen mit Traumafolgestörungen. Jedoch
existieren heutzutage in der analytischen Psychotherapie modifizierte Behandlungskonzepte
für spezielle Krankheitsbilder, die über die Freud`sche Annahmen weit
hinausgehen. Dies gilt auch für die Traumatherapie. Daher lohnt es sich, gerade
bei komplexen Traumafolgestörungen auch bei einer analytischen TherapeutIn
nachzuhaken, wie sie arbeitet und ob sie die Kenntnisse der modernen
Traumatherapie berücksichtigt. In der Regel finden bei der psychoanalytischen
Therapie drei Sitzungen pro Woche statt. Die Krankenkasse bezahlt bis zu 300
Therapiestunden. Daher dauert die Therapie meist mehrere Jahre. Die KlientIn
hat damit genügend Zeit. Da die Therapie längerfristig angelegt ist, sind jedoch
kurzfristige Erfolge selten.
Systemische
Therapie
Die systemische Therapie gehört
erst seit dem 1. Juli 2020 zu den Richtlinienverfahren. Das Verfahren ist für
die Einzel-, Paar-, Familien- und Gruppentherapie geeignet und hat sich aus der
therapeutischen Arbeit mit Familien entwickelt.
In der systemischen Therapie wird davon
ausgegangen, dass der Schlüssel zum Verständnis und zur Veränderung von
Problemen weniger in der Störung der KlientIn liegt, sondern als Folge einer
Störung im sozialen Umfeld derselben zu sehen ist.[iv]
Damit arbeitet die systemische
Therapie vor allem mit den Beziehungen der KlientIn, die für die Existenz des
zu behandelnden Problems (mit-) verantwortlich sind. Auch Kontakte, die an der
Störung beteiligt sind, werden in der Therapie berücksichtigt. Der Großteil
davon ist z.B. in der Familie, Schule oder am Arbeitsplatz zu finden. Diese
Beziehungen spielen eine entscheidende Rolle bei dem Ziel, das Problem zu lösen
und die Störung damit zu beheben. Die Anwesenheit der relevanten Personen ist
in der Therapie nicht vonnöten, kann jedoch bei Kindern und Jugendlichen von
Nutzen sein.
Eine Wirksamkeit der systemischen Therapie wurde bisher für
Angststörungen und Zwangsstörungen, unipolare depressive Störungen,
Schizophrenie, Sucht- und Essstörungen nachgewiesen.[v]
In der Regel werden zu Beginn 36 Stunden von der Krankenkasse genehmigt, wobei
auch hier Verlängerungen möglich sind.[vi]
Bitte beachten Sie, dass die
systemische Therapie nichts mit der stark umstrittenen Familienstellung nach
Bert Hellinger zu tun hat, die vor allem in esoterischen Kreisen sehr beliebt
ist. Diese ist mit hohen Risiken und Gefahren verbunden. Daher hat sich die
Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie
(DGSF) bereits 2003 klar davon distanziert. [vii]
Gruppentherapie-Verfahren
Seit dem 01.10.2021 übernimmt die gesetzliche Krankenkasse auch die
Kosten für eine gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung. Dank dieser
können KlientInnen in den ersten vier (à 100 Minuten) oder acht (à 50 Minuten)
Sitzungen überprüfen, ob eine Gruppentherapie für sie infrage kommt. In diesen
Sitzungen klärt die leitende TherapeutIn u.a. über die Rahmenbedingungen einer
Gruppentherapie auf. Erleichternd ist, dass – im Gegensatz zu den
Einzelpsychotherapie-Verfahren – für die gruppentherapeutische Grundversorgung
kein Antragsverfahren gegenüber den Krankenkassen notwendig ist.[viii]
Bei einer anschließenden Gruppentherapie muss gewährleistet sein, dass diese
von einer PsychotherapeutIn in einem der oben genannten Richtlinienverfahren angeleitet
wird. Die gesetzliche Krankenkasse macht zudem zur Bedingung, dass die leitende
Psychotherapeutin sowohl eine Kassenzulassung für Psychotherapie als auch eine
Zusatzausbildung in Gruppentherapie hat.[ix]
Zu beachten
Bei ME/ CFS und der Zielsetzung Krankheitsbewältigung sollten Sie sich auf Psychotherapeuten aus der Verhaltenstherapie konzentrieren, die eventuell über eine psycho-onkologische Weiterbildung verfügen und sich mit ME/CFS auskennen. Auf jeden Fall sollten die TherapeutInnen ME/CFS und MCAS als körperliche Erkrankungen anerkennen und ernst nehmen.
Falls Sie sich für eine Traumatherapie interessieren, bieten sich alle Richtlinien-Verfahren an. PSann aber sollten Sie auf jeden Fall klären, ob die betreffende TherapeutIn
Erfahrung mit komplexen Traumafolgestörungen sowie dissoziativen Zuständen hat.
Haken Sie diesbezüglich unbedingt nach. Fragen Sie auch nach den Methoden, mit
denen die TherapeutIn arbeitet, und scheuen Sie sich nicht, sich nach deren
Aus- und Fortbildungsstand zu erkundigen. Denn für den Erfolg der Traumatherapie
ist letztlich entscheidend, nach welchem Traumatherapie-Konzept und wie die
TherapeutIn arbeitet – unabhängig davon, in welcher Richtlinientherapie sie
ausgebildet ist.
Alle
weiteren ambulanten Therapieformen wie z.B. Kunst-, Musik-, Tanz- oder Körpertherapie
werden stationär oft begleitend angeboten. Ambulant werden sie derzeit jedoch
leider nicht durch die gesetzlichen Krankenkassen erstattet, sondern müssen
privat bezahlt werden.
[iii]
https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/therapie/psychotherapie/klassische-psychoanalyse/,
zuletzt aufgerufen am 13.09.2021
[iv]
https://www.therapie.de/psyche/info/index/therapie/systemische-therapie,
zuletzt aufgerufen am 13.09.2021; Dobmaier, Julia (2021): Systemische Therapie,
auf https://www.netdoktor.de/therapien/psychotherapie/systemische-therapie/,
zuletzt aufgerufen am 13.09.2021
[vi] Kleinschmidt, Carola: „Diese
Therapien gibt es“, in: Brigitte 20/2021, Seite 105. Hamburg: Gruner & Jahr
GmbH
[viii]
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/127739/Ab-Oktober-drei-neue-Leistungen-in-der-gesetzlichen-Krankenversicherung,
zuletzt aufgerufen am 29.09.2021
[ix]
https://www.therapie.de/psyche/info/fragen/wichtigste-fragen/was-bezahlt-die-krankenkasse/,
zuletzt aufgerufen am 29.09.2021